Selbstversuch
Leben ohne Plastikmüll – ist das möglich?
Gurken, Toilettenpapier, Deo – alles kommt in Plastikverpackungen daher. Ein Leben ohne Plastik ist kaum vorstellbar. Oder doch? Unser Autor macht den Test.
Mi, 23. Nov 2016, 10:21 Uhr
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In meiner Dose könnten Keime oder Bakterien sein. "Und nachher sind die hier bei uns hinter der Theke und auf den Lebensmitteln", sagt sie und wedelt mit dem Zeigefinger. "Ne, ne, das kommt uns nicht in die Tüte."
Bei einer Recherche zur Müllentsorgung am Hochrhein habe ich Berge von Gelben Säcken in Lagerhallen gesehen, den süßlichen Geruch von Müll eingeatmet, viel über Umweltprobleme gehört, die entstehen, weil wir so viel wegwerfen. Ein guter Zeitpunkt, um mein eigenes Verhalten und das meiner Mitmenschen zu hinterfragen.
Wie alle anderen bin ich froh, wenn mein Müll vor der Haustüre abtransportiert wird. Ich bekomme die Krise, wenn ich erfahre, dass nur die Hälfte davon recycelt wird. Ich schüttele den Kopf und seufze, wenn ich Bilder von schwimmenden Müllteppichen in den Weltmeeren sehe. Doch was kann ich in meinem Alltag dagegen tun?
Ich will mein Einkaufsverhalten ändern. So, dass ich keine Verpackungen mehr brauche, die nach einmaliger Verwendung weggeschmissen werden. Der Start in ein Leben ohne Verpackungsmüll beginnt holprig. Wenn ich meinen Stamm-Einkaufsladen betrete, verlasse ich ihn mit leeren Händen. Saurer Rahm, in Plastikbechern, Erbsen in der Dose, Kaffeesahne im Einwegglas, Reis in der Tüte, Tee im Karton – nichts davon darf ich mitnehmen. Höchstens im Obst- und Gemüsebereich komme ich ohne Verpackungen aus. Aber auch dort sind Tomaten, Gurken und Salatköpfe zum Teil eingeschweißt.
Was mir die Käsetheken-Frau im Supermarkt verwehrte, macht Roswitha Hauser möglich. Seit mehr als 20 Jahren steht sie mit ihrem Käsewagen auf dem Markt am Freiburger Münster. Während sie mir ein Stück Bergkäse in die Plastikdose legt, sagt sie, dass viele Kunden keine Taschen mehr mitbrächten. "Manche wollen sogar eine extra Tragetasche für ein kleines Stück Käse", erzählt sie. "Viele gehen sehr unvorbereitet zum Einkaufen – und wollen es dann lieber bequem." Als ich sie bitte, mir ein Stückchen Butter in die Dose zu legen, mischt sich eine Kundin ein, die zugehört und von meinem Selbsttest mitbekommen hat. Marianne Groetschel berichtet, dass sie stets eigene Taschen auf den Markt mitbringe.
In Deutschland fallen jährlich 18 Millionen Tonnen Verpackungsabfälle an. Im Schnitt wirft jeder Einwohner 220 Kilogramm in den Müll. Davon wird einiges recycelt und wieder in einen Kreislauf gebracht. Neue Produkte wie Einkaufskörbe, Leitpfosten oder Fußballtrikots entstehen dadurch.
Grundsätzlich sei die einmalige Verwendung von Verpackungen aber schlecht, sagt Philipp Sommer von der Deutschen Umwelthilfe. "Die ständige Neuproduktion von Einwegverpackungen verbraucht unnötig viele Ressourcen, belastet das Klima und erzeugt Abfall." Durch immer neue Kombinationen verschiedener Materialien ließen diese sich zunehmend schlechter recyceln. "Am besten sollten Abfälle mit Hilfe von wiederverwendbaren Mehrwegverpackungen von vornherein vermieden werden."
Wichtig ist allerdings, darauf zu achten, wo die Mehrwegverpackungen gewaschen und wieder befüllt werden. Die Transportentfernung sei ein großer Faktor für die Ökobilanz, meint Sascha Roth, Referent für Umweltpolitik beim Nabu.
Als Pasta-Liebhaber habe ich es während des Selbstversuchs nicht leicht. Auf dem Markt kostet ein Kilo unverpackter Nudeln bisweilen acht Euro. Das will ich nicht ausgeben. Wenn ich Spätzle selber machen will, brauche ich Mehl, das ich unverpackt in meiner Umgebung nicht bekomme. Und mit dem Auto zu einer abgelegenen Mühle fahren, wo ich Mehl selbst abfülle – das kann auch nicht im Sinn der Umwelt sein.
In Karlsruhe, Stuttgart oder Basel wäre ein Leben ohne Verpackungsmüll momentan weitaus leichter. Dort gibt es "Unverpackt-Läden". Der Kunde kann mit seinen Behältern vorbeikommen und sich die Ware selbst abfüllen – auch Nudeln. Mittlerweile hätten sich die Kunden an das System gewöhnt, sagt Antonia Wucknitz, die im Frühjahr einen Unverpackt-Laden in Karlsruhe eröffnet hat. "Wenn der Kunde erst einmal weiß, dass er ohne Behälter hier nichts bekommt, bringt er sich einen von daheim mit. So leicht ist das."
Lebensmittel an sich sind nicht das Problem. Umständlicher wird ein Leben ohne Verpackungsmüll, wenn man Hygiene und Gesundheit nicht hinanstellen möchte. Halspastillen verkauft mir die Apothekerin nicht einzeln. In dem Fall muss ich auf die Tipps der Oma zurückgreifen, die bei Halsschmerzen Ingwer- und Holundertee oder einen Halswickel aus Quark oder Kartoffeln empfiehlt.
Und Toilettenpapier? Ohne Plastikverpackung habe ich das noch nirgends gesehen. Das Internet schlägt mir allerlei Alternativen vor. Die Klobürste zu Hilfe nehmen, altes Zeitungspapier verwenden. In einem Forum wird Laub und Gras empfohlen, auf einer Homepage lese ich, dass ich alten Stoff nehmen und ihn anschließend waschen soll. Meiner Freundin geht das aber dann doch zu weit. Das kann ich verstehen.
Drogerieregale sind nicht gerade der beste Freund des Müllvermeiders. Shampoos in Tuben, Deos in Dosen, Seifen eingeschweißt oder in Plastikflaschen. Glücklicherweise finde ich Handseifen auf dem Wochenmarkt – und einen Laden, der mir weiterhilft. "Lush" heißt die Kette, die es auch in Freiburg gibt. Eine Mitarbeiterin führt mich durchs Sortiment: Trockenshampoo, Trockenduschgel, Trockendeo, Trockenfußseife mit Bimsstein. Alles am Stück, die Verkäuferin schneidet mir jeweils so viel ab, wie ich brauche. Nur eine Zahnbürste haben sie nicht für mich. Die kaufe ich aus Plastik und auch darin verpackt.
In Südbaden hat der selbständige Edeka-Händler Hieber ein Mehrwegsystem eingeführt. Der Kunde bekommt Käse, Fisch, Fleisch in mitgebrachte Behälter gefüllt. Das Veterinäramt Breisgau-Hochschwarzwald teilt mit, dass die Lebensmittelhändler gewisse EU-Verordnungen erfüllen müssen. Dennoch dürften sie eigenmächtig Mehrwegsysteme einführen – wenn sie die Hygienevorschriften einhalten. Die Lebensmittelriesen Rewe und Edeka machen da nicht mit. Sie wollen lieber kein Risiko eingehen. Manchmal frage ich mich, wie meine Großeltern, die in einer Zeit ohne strenge Hygienevorschriften aufgewachsen sind, bis ins hohe Alter so gesund bleiben konnten.
"Coffee to go" – den Kaffee zum Mitnehmen gab es bisher immer in Pappbechern, die nach dem Austrinken bei nächster Gelegenheit in den Mülleimer geflogen sind. In Freiburg soll damit Schluss sein, zumindest etwas. In der Innenstadt gibt es ab sofort Pfandbecher für Kaffee zum Mitnehmen – und vor allem: zum Wiederverwenden. Diesen Versuch riefen die Stadtverwaltung und die Abfallwirtschaft und Stadtreinigung Freiburg (ASF) ins Leben. Das Ziel laut Umweltbürgermeisterin Gerda Stuchlik: Abfall vermeiden. 16 Cafés und Backshops haben sich dieser Idee angeschlossen. Ein Euro Pfand zahlt der Kunde für den "Freiburg Cup", der in allen teilnehmenden Läden abgegeben werden kann. 400 Mal kann ein Becher benutzt und gespült werden, was Wasser, Energie und Papier sparen soll. Der Deckel des Mehrwegbechers bleibt aber aus Hygienegründen Einweg. Die Stadt finanziert den Versuch, der seit Anfang dieser Woche läuft, mit 8500 Euro – wird aber auch wieder Personalkosten für die Beseitigung von Müll einsparen.
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