Das Perfekte im Unperfekten

Die furchtlosen 7½ aus Emmendingen, eine inklusive Band, erleben mit Frank Goos musikalische Abenteuer voller Kreativität. Und immer geht es dabei um das Miteinander auf Augenhöhe.  

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Probe mit halber Besetzung (v. l.): Fr... Frei, Stefan Nock und Sergej Kutaffev  | Foto: Ulrike Sträter
Probe mit halber Besetzung (v. l.): Frank Goos, Lena Fuchs, Johannes Frei, Stefan Nock und Sergej Kutaffev Foto: Ulrike Sträter
Frank Goos hat’s nicht so mit den Wiederholungen. Die Gefahr, dass er sich langweilt, ist einfach zu groß. Alle zwei Wochen samstags probt der Kulturpreisträger der Stadt Emmendingen und Profimusiker mit den furchtlosen 7½ in seiner Küche. Seit 2004 macht er das und weiß bis heute nie so genau, was auf ihn zukommt. Somit dürfte sich das mit der Langeweile auch erledigt haben.

Die furchtlosen 7½ ist eine integrative Band in Emmendingen. Es spielen Menschen mit geistiger und körperlicher Beeinträchtigung. Ihr Repertoire reicht von Rock, Pop bis hin zu Free Jazz und Punk. Momentan vertont die Band Kochrezepte. Neben den klassischen Instrumenten wie Tenorhorn, Saxophon, Posaune oder Trompete wird da auch zur elektrischen Zahnbürste gegriffen, die auf einem Holzkubus rotiert, Löffel, Töpfe, Pfannen – es muss zum Arrangement passen, das Goos zuvor für die Gruppe erarbeitet hat: "Ich übersetze die Texte ins Deutsche, ohne dabei den Stil des Stücks zu verändern." So war es auch, als er Liedern der Rolling Stones Beatles-Stücke gegenüberstellte, Schlager der 1950er/60er-Jahre mit Krimis in Verbindung brachte, Texte aus Alice im Wunderland mit der Musik von Michael Jackson und Prince verband.

Frank Goos spielt mit fester Besetzung: "Sonst funktioniert es nicht." Bandmitglied der ersten Stunde ist Georg Rotzinger (35). Seine Eltern fragten damals Goos, ob er ihrem Sohn Saxophonunterricht geben würde, auch auf die Gefahr, dass es mal schief klingen könnte. "Bei der Einweihung des Eichbergturms spielte Georg mit. 20 Musiker beendeten auf mein Zeichen ihr Spiel – Georg nicht. Als ich ihn fragte, ob er nicht gehört habe, dass wir fertig waren, sagte er nur: ‚Ihr schon, ich aber noch nicht.‘ Da wusste ich: Das ist mein Mann", sagt Goos.

Wie umgehen mit Unwägbarkeiten? "Vor 20 Jahren war ich unsicherer. Mittlerweile lasse ich mich auf alle Eventualitäten ein", so Goos. Eine Antwort, die man ihm abnimmt. Als leidenschaftlicher Free Jazzer liegt dem Saxophonisten Improvisieren im Blut. Genauso wie Johannes Frei. Er spielt Posaune, Trompete und ist der Showman der Band. "Wenn alle Stricke reißen, sorgt Johannes für Stimmung. Und er trommelt unsagbar gut", schätzt Goos sein Können. Profitrommler bewundern seine schnellen Schläge auf der Kupferbettflasche, fragen sich, wie er das macht. Eine Antwort hat der 32-Jährige nicht, auch könnte er genau denselben Schlagturnus nicht nochmals abrufen. Aber darum geht es auch nicht. "Johannes macht es einfach, beim nächsten Mal sicher anders, aber genauso gut", weiß Goos.

Lena Fuchs ist die einzige Musikerin der Band, die seit Beginn dabei ist. Sie spielt Saxophon, Percussion und ist die gute Seele der Band. "Geht es hoch her, beruhigt sie die Gemüter", schätzt Goos die 37-Jährige.

Zimperlich ist kein Bandmitglied, von Berührungsängsten keine Spur. "Wir treffen uns, um gemeinsam zu spielen, mit allem, was dazugehört", sagt Goos. Dazu zählt auch Kritik. Niemand ist perfekt, alle geben ihr Bestes. In Sachen Unperfekt nennt sich Goos als bestes Beispiel, wie er unbeholfen am Keyboard nach den Akkorden sucht: "Das ist einfach nicht mein Instrument, aber als Taktgeber halte ich den Laden zusammen." So erarbeitet die Band von Probe zu Probe das Perfekte im Unperfekten, was mal besser, mal schlechter klappt. "Fakt ist, in den anderthalb Stunden geht es nur um Musik. Das ist unsere Auszeit vom Alltag", so Goos. Da ist auch kein Platz für die Eltern, die ihre Kinder zur Probe fahren, teilweise seit mehr als 20 Jahren. "Ihr Engagement ist genauso toll wie das Verständnis meiner Vermieter, die sich jeden zweiten Samstag ihr Frühstück von uns musikalisch untermalen lassen. Das ist alles andere als selbstverständlich", würdigt es Goos.

Die halbe Zahl im Bandnamen gebührt Stefan Nock. "Weil er damals der Kleinste war", erklärt Goos. Der 29-Jährige ist die Stimme der Band und kennt bis heute jeden Liedtext. Hat er beim Singen mit mancher schrägen Satzstellung zu kämpfen, greift er im persönlichen Gespräch gerne auf selbst kreierte Reime zurück. "Stefan ist spontan, manchmal fehlt ihm da vielleicht ein Filter, aber er geht einfach gerne auf die Menschen zu", sagt Goos und denkt an den Polizeiwagen, den der Sänger einmal spontan angehalten hat, um den Polizisten die Einladung zum nächsten Auftritt zu überreichen.

An die 70 Konzerte haben die furchtlosen 7½ inzwischen gegeben, traten mit anderen Bands und Sängern auf, waren zu Gast bei der SWR-Sendung "Fröhlicher Alltag", als die Sendung in der Fritz-Boehle-Halle aufgezeichnet wurde, zusammen mit Semino Rossi und den Geschwistern Hofmann. Der Mann am Tenorhorn heißt Matthias Mayer. Goos beschreibt ihn als intelligent, ruhig und blind: "Ihm sitzt der Schalk im Nacken. Bei einer Grünen-Veranstaltung spielte er zum Schluss ungefragt das Badnerlied als Solo. Ich war perplex. Die Grünen nicht. Sie standen auf und sangen mit", amüsiert sich Goos bis heute. Ebenfalls ein Mann der ruhigen Töne ist Sergej Kuttaffev. "Unser Sänger für die langsamen Stücke spielt auch das Berimbau und Percussion", weiß Goos ihn einzusetzen.

Goos kennt die Stärken seiner Bandmitglieder – und lässt sie sich dennoch nicht darauf ausruhen. Bei der Percussion wechseln die Musiker die einzelnen Parts. Ist der Auftritt vorbei, wird abgebaut, auch hier jeder, wie er kann. "Sergej rollt die Kabel auf, Johannes schleppt die Kisten. Wir wissen, was zu tun ist. Vor allem aber helfen wir uns, falls nötig", hat Goos auch diese Entwicklung im Blick: "Denn letztlich geht es um das Miteinander auf Augenhöhe – egal, ob in der Musik oder anderswo."
Schlagworte: Frank Goos, Semino Rossi, Matthias Mayer
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