Meteorologie
Trotz Wetter-App im Regen? Was Vorhersagen können – und was nicht
Die Wettervorhersage ist immer besser geworden. Das gilt allerdings nicht für alle Handy-Wetter-Prognosen. Warum man sich auf manche Apps besser nicht verlassen sollte.
Fr, 18. Mai 2018, 10:00 Uhr
Bildung & Wissen
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Aber auch Prognosen über mehrere Tage sind erstaunlich zuverlässig. Eine Wochenprognose gehört mittlerweile zum Standardprogramm eines jeden Wetterdiensts; sie gelingt heute genauso gut wie eine Zweitagesprognose vor 50 Jahren. Dieser Fortschritt der Meteorologie hat nicht nur die Freizeitplanung einer hedonistischen Spaßgesellschaft vereinfacht, er hat das Leben vor allem sicherer gemacht. Wir wissen heute rechtzeitig, wann ein verheerender Hurrikan wie Irma aufzieht, ob in einer Woche eine Hitzewelle droht, oder ob man sich auf grimmige Kälte einstellen muss.
Trotzdem haben viele Menschen das Gefühl, dass die Wettervorhersage schlechter geworden sei. Und zwar diejenigen, die sich die Prognose per App zu Gemüte führen. Wetter-Apps gehören zu den beliebtesten Smartphone-Anwendungen, es gibt Dutzende Anbieter. Und doch scheinen viele Nutzer unzufrieden: Die Prognosen auf ihren Bildschirmen haben oft wenig mit dem wirklichen Wetter zu tun. Dabei sind die Computer schneller geworden, die Modelle genauer, die Vorhersagen besser. Was ist da bloß los?
Wer mit Meteorologen über diese Frage diskutiert, der hört zunächst einmal ein tiefes Seufzen. Seit sich immer mehr Menschen per App über das Wetter informieren, müssen sie sich häufiger rechtfertigen.
Eine der beliebtesten Apps der Deutschen stammt von dem Bonner Unternehmen Wetteronline. Wetteronline.de ist der zweitgrößte Anbieter von Wetterinhalten, hinter Branchenführer wetter.com, der zum Medienkonzern Pro-Sieben-Sat 1 gehört. Doch wie entsteht eine solche App überhaupt? Matthias Habel ist Unternehmenssprecher von Wetteronline, mehrere Jahre arbeitete er als Softwareentwickler. Als solcher weiß er natürlich nicht nur über die eigene App Bescheid, sondern kennt sich auch mit den zahlreichen Anwendungen der Konkurrenz aus. Er vergleicht das Programmieren mit dem Kochen: Der Entwickler (Koch) stellt dabei aus mehreren Computermodellen (den Zutaten) ein Gericht zusammen. Fertig ist die Wetter-App.
Das billigste Gericht ist gleichzeitig das einfachste. Es besteht lediglich aus einer Zutat: dem kostenlosen Computermodell des amerikanischen Wetterdienstes Noaa, das Global Forecast System (GFS). Mit diesen Daten werden die populären Apps der großen Betriebssysteme gefüttert. Die vorinstallierten Wetterapps von Android (Google) und Apple spucken also jeweils nur das neueste Rechenergebnis des Supercomputers aus. Einfach Ort eingeben – und fertig ist die Wettervorhersage. "Mehr Grips steckt in diesen Apps nicht drin", sagt Matthias Habel dazu.
Globale Wettermodelle wie das GFS legen ein feinmaschiges Gitternetz über die Erde. Das Gitter hat eine Maschenweite von 28 Kilometern, und in dem Bereich herrscht laut Modell dasselbe Wetter. Kleinräumige Schauer und Gewitter, lokale Begebenheiten überhaupt, fallen damit durchs Raster. Berlin beispielsweise hat so ein vom amerikanischen Wetterdienst verordnetes einheitliches Wetter. Streng genommen liefern die Apps keinen Wetterbericht, sondern ein unscharfes Rechenergebnis. Sie zeigen zudem die aktuelle Temperatur für jeden Ort an, obwohl an den meisten Orten gar keine Wetterstation steht. Die App überträgt einfach den Messwert der nächstgelegenen Station auf den angegebenen Ort.
Neben dem GFS existieren derzeit etwa ein Dutzend anderer Globalmodelle, darunter auch das Modell Icon des Deutschen Wetterdiensts. Als bestes Modell der Welt gilt das kostenpflichtige Modell des Europäischen Zentrums für Mittelfristige Wettervorhersagen (EZMWF) aus Reading bei London.
Die Wetterdienste versuchen die Auflösung der Modelle zu verbessern. Ziel ist eine kilometergenaue Sicht auf die Atmosphäre. Doch das ist nicht einfach: Eine Prognose ist immer nur so gut wie die Messdaten, mit denen das Modell gefüttert wird. Deshalb funken rund 11.000 Wetterstationen weltweit Temperatur, Luftdruck, Regenmengen, Windrichtung und Windgeschwindigkeit an die Wetterdienste. Das deutsche Messnetz ist vergleichsweise dicht. In Entwicklungsländern und inmitten der Ozeane klaffen dagegen große Datenlücken. Deswegen sind rund 3000 Handelsschiffe sowie 3000 Flugzeuge mit Messfühlern ausgerüstet. Und etwa 750 tauchende Bojen versorgen die Meteorologen mit Informationen über die Meerestemperatur von der Ozeanoberfläche bis in die Tiefe von 2000 Metern. Für ein vollständiges Bild der Atmosphäre sind allerdings geostationäre Satelliten unerlässlich.
Die gesammelten Daten werden schließlich in den riesigen Rechenzentren der nationalen Wetterdienste verarbeitet. Nach den Gesetzen der Physik wird aus dem aktuellen Zustand der Atmosphäre ein künftiger berechnet. Alles, was nicht gemessen werden kann, wird simuliert. Dazu gehören kleinräumige und teilweise bis heute unverstandene Prozesse wie Verdunstung, Wolkenbildung, Konvektion und Einstrahlung. Die Annahmen können sich von Dienst zu Dienst unterscheiden, deshalb unterscheiden sich auch die Ergebnisse.
Das hauseigene Modell des privaten Anbieters Wetteronline hat eine Maschenweite von zwei Kilometern, darüber hinaus stehen den Bonnern neun weitere Wettermodelle zur Verfügung. Alle Modelle haben ihre Stärken und Schwächen.
Doch woher weiß der Meteorologe, welchem Modell er vertrauen soll, um einen Wetterbericht zu erstellen? "Wir entscheiden jeden Tag neu, welcher Dienst die aktuelle Lage am besten trifft", sagt Matthias Habel. Das Modell wird also an der Wirklichkeit gemessen.
Hat ein Modell die Wetterlage am genausten berechnet, fließt dieses Rechenergebnis in die App ein. Die Qualitätsprüfung ist wichtig für jeden Wetterdienst. Zweitägige Vorhersagen liegen heute im Schnitt um lediglich 1,3 Grad daneben. Bei sechs Tagen beträgt die Abweichung etwa 2,5 Grad. Erst Abweichungen von mehr als 4,5 Grad werden als grobe Fehlprognosen gewertet. Die Auswahl bei Wetteronline folgt keiner Mehrheitsentscheidung. Selbst wenn fünf Modelle schönes Frühsommerwetter voraussagen und nur eins Siffwetter, vertraue man dort dem Modell, das am ehesten mit den Beobachtungen übereinstimme, sagt Habel.
Bei Vorhersagen von fünf bis sieben Tagen funktioniert diese Vorgehensweise ganz gut. Doch bei Prognosen von bis zu zwei Wochen, die von immer mehr Wetterseiten und Apps angeboten werden, wird einfach das Rechenmodell des GFS umgesetzt. Damit setzen die Anbieter jedoch ihr höchstes Gut aufs Spiel: die Glaubwürdigkeit. Sieben bis maximal zehn Tage lassen sich – je nach Wetterlage – einigermaßen seriös vorhersagen. Mehr nicht. Denn die Atmosphäre ist kein lineares System, das man mit Hilfe hinreichend potenter Computer komplett errechnen könnte. Wetter ist ein Produkt chaotischer Prozesse, die komplexen Vorgänge in der Atmosphäre sind unvorhersagbar. Doch angeboten wird nicht, was meteorologisch sinnvoll ist, sondern, was mathematisch machbar ist. Die Folge: Die Prognose wird zur Farce.
Sagten die Wetter-Apps zu Dezemberbeginn für Weihnachten in Freiburg noch winterliches Wetter voraus, wurde das Ergebnis nur wenige Tag später auf milde zwölf Grad korrigiert. Die App kippte über Nacht von einem Extrem ins andere.
"Die 14-Tage-Vorhersage ist eigentlich Quatsch", gibt sogar Matthias Habel zu. Man dürfe solche Prognosen nicht für bare Münze nehmen, sagt er. Er vertraue aber darauf, dass die meisten User verstünden, dass man eine Prognose für zwei Wochen anders zu interpretieren habe als eine für 24 Stunden. Aber warum bietet Wetteronline solche Prognosen dann überhaupt an? Weil es der Nutzer verlange, sagt Habel. Es gebe in Zeitungen ja auch Horoskope, die man gerne lese. Die 14-Tage-Vorhersage sei jedenfalls die Rubrik, die auf der Homepage mit am häufigsten geklickt werde, so der Sprecher von Wetteronline.de. Im Gegensatz zum Gros der Konkurrenten verweist Wetteronline auf seiner Homepage auf die Unsicherheit solcher Prognosen. Doch in der App fehlt dieser Hinweis. "Wenn wir dauernd schreiben, wie unsicher eine Vorhersage ist, glaubt uns doch keiner mehr", sagt Habel.
Diese Glaskugel-Berichte sind mittlerweile weit verbreitet: Wetter.de bietet Detailprognosen für 30 Tage, Branchenriese wetter.com ebenfalls. Unsinnigerweise sind auch Nachrichtenseiten wie Bild.de auf diesen Zug aufgesprungen. Wetteronline hält sich bei solchen Langfristprognosen zurück. Und auch der Deutsche Wetterdienst und viele andere seriöse Meteorologen, darunter Jörg Kachelmann von kachelmannwetter.com, halten von solchen Prognosen nichts. Aber im Wettkampf um Klicks scheint die Vernunft chancenlos.
Da hilft nur selbstständiges Denken. Und etwas Kenntnis darüber, was im Jahr 2018 möglich ist – und was nicht. Möglich sind: grobe Temperaturprognosen für maximal zehn Tage plus Einschätzung darüber, wie der Wettercharakter wohl sein wird. Unmöglich sind: detaillierte Regenprognosen für mehrere Tage und das auch noch stundengenau – kein Meteorologe weiß heute, ob es in vier Tagen um 14 Uhr regnet. Noch schlechter sieht es bei manchen Gewitterlagen aus: Wo es brodelt, blitzt und donnert, erkennen die Wetterdienste häufig nur Minuten, bevor es passiert. Manchmal hilft beim Wetter einfach nur eines: abwarten. Und auf alle Fälle vorbereitet sein.
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