Account/Login

Die Schönheit menschlicher Verlorenheit

Schauspiele für Auge und Ohr: Die Frankfurter Kunsthalle Schirn zeigt die Videoinstallationen des amerikanischen Künstlers Doug Aitken.  

Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen

Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.

Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.

Akzeptieren
Mehr Informationen
Dass eine zum Abbruch freigegebene Galerie fantastische Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet, wurde 2013 bei einer Ausstellung des amerikanischen Künstlers Doug Aitken in der New Yorker 303 Gallery sichtbar. Aitken öffnete den Raum an drei Seiten durch ein mannsgroßes Loch zum Nebenraum und brachte hinter den Öffnungen leuchtende Worte wie Magic und Sun Set an. In der Mitte ließ er ein kreisförmiges Loch in den Boden stemmen und mit milchiger Flüssigkeit füllen. Diese an das kalkhaltige Wasser von Tropfsteinhöhlen erinnernde Lösung floss außerdem aus fünf Düsen, die an einem Rohrgestänge an der Decke befestigt waren und sich in unregelmäßigen Abständen öffneten und schlossen.

Im dunklen Raum vermischten sich die natürlichen Töne des Tropfens, Plätscherns und Brausens mit der elektronisch überarbeiteten Wiedergabe der unter Wasser aufgenommenen Töne zu einem ungewöhnlichen Wasserkonzert. Diese "Sonic Fountain" genannte Werkanlage ist in adaptierter Form derzeit in der frei zugänglichen Rotunde der Kunsthalle Schirn in Frankfurt zu sehen. Aufgrund der fehlenden Dunkelheit hat sie ihren mystischen Charakter verloren, auch die geöffneten Wände und das Bodenloch sind verschwunden, stattdessen wurde mit Bauschutt eine an einen Vulkankrater erinnernde Form aufgeschichtet. Der Blick des Betrachters richtet sich nun weniger in die unergründliche Tiefe der milchig trüben Oberfläche als in die lichterfüllte Höhe, wo die Röhrenapparatur ein orchestriertes Schauspiel für Auge und Ohr inszeniert: Mit Spannung lassen sich fallende Tropfen verfolgen, aufklatschende Töne und Wellen antizipieren, der Vielzahl von natürlichen und akustisch bearbeiteten Geräuschen lauschen. Hinzu tritt die Veränderung der Atmosphäre durch die Tages- und Jahreszeiten.

Die Soundarbeit bereitet den Besucher auf wichtige Aspekte von Aitkens Werk vor: Ton, Rhythmus und Raum, Zeit, Geschwindigkeit und Bewegung sowie das Eintauchen in eine filmische, körperlich erfahrbare Welt. Der dichte Klangteppich von "Song 1" (2012/2015) lockt bereits von weitem an. Durch eine Öffnung kann man in die Mitte eines freihängenden Panoramaschirms treten, auf dem sich Videoclips von singenden Menschen, Stadtaufnahmen, Autoverkehr, surrenden Tonbändern oder abstrakten Mustern abwechseln. Man wird von verschiedenen Varianten des extrem gefühlsgeladenen Liebesliedes "I Only Have Eyes for You" umfangen, dessen musikalische und bildliche Dichte die Alltagswelt vergessen lässt. Raumfüllender Musik und unaufhörlicher Bilderfluss stehen in traurigem Kontrast zur Isolation und Einsamkeit der singenden Einzelnen.

Es folgen weitere große Videoinstallationen und mehrere Licht- und Spiegelobjekte. In einem schwarz reflektierenden Raum begegnet man einer an transitorischen Orten wie Flughäfen oder Motels befindlichen jungen Frau, deren Statement "Steh niemals still. Tausche aus, verbinde und ziehe weiter" das modernen Nomadentum wiedergibt: ein emotionsloses ewiges Jetzt. In einem abgesperrten Diamantabbaugebiet filmte Aitken die Gegensätze von verlassenen menschlichen Behausungen, maschineller Effizienz und der ursprünglichen Kraft von Meeresbrandung, Sandwüste und schwarzen Wildpferden während er in "migration (empire)" (2008) Motelzimmer von Tieren betreten ließ. Angesichts von Mustang, Biber, Adler und Puma wird der cleane menschliche Lebensstil zum monströsen Fremden.

Aitkin zelebriert die Schönheit menschlicher Verlorenheit. Nichts deutet auf Auswege hin, kein Auflehnen wider die Leeres des Nomadentums oder das Verpflanzen in fremde Welten. Dies ist umso ernüchternder, als einem die großformatigen, ausgefeilten räumlichen Anordnungen der Bildflächen und die fließenden Schnittfolgen und Rhythmen in Bild und Ton in den Bann ziehen. Auch die trügerische Schönheit von Versprechungen ist sein Thema, wenn er Leuchtkästen in Form von Flugzeugen gestaltet, die eine kitschige Wolkenformation vorweisen, oder im Lichte des Wortes Speed eine glitzernde Mondlandschaft zeigt. Und schließlich verweist das aufgeblasene Foto eines Smartphones, dessen schwarzes Display Sprünge zeigt, auf die Schattenseite einer immerzu fortschreitenden globalisierten Welt.

– Kunsthalle Schirn, Frankfurt. Bis 27. September, Freitag bis Sonntag und Dienstag 10 bis 19 Uhr; Mittwoch und Donnerstag 10 bis 22 Uhr. Weitere Informationen unter http://mehr.bz/aitken

Ressort: Ausstellungen

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare


Weitere Artikel