"Der Koran bejaht das Leben"
Zischup-Interview mit dem Theologen Milad Karimi über das heilige Buch der Muslime und warum es wichtig für sie ist
Mo, 5. Nov 2018, 18:00 Uhr
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Der Koran ist für Muslime von fundamentaler Bedeutung und spielt eine große Rolle in ihrem Leben, denn er gilt ihnen als das unverfälschte Wort Allahs. Im Westen dagegen sind die Gemüter gespalten, manche respektieren und achten das Buch, andere sehen in ihm eine Gefahr für die Gesellschaft. Max N. von der Staudinger-Gesamtschule in Freiburg sprach mit dem islamischen Theologen Milad Karimi, der den Koran neu übersetzt hat.
Karimi: Ich habe den Koran erneut übersetzt, weil ich mit den bestehenden Übersetzungen unzufrieden war. Mir schien es, dass viele Übersetzungen zwar hervorragend sind, aber nicht den wesentlichen Kern des Korans vermitteln können, weil sie die Schönheit der koranischen Sprache, den Rhythmus, die Melodie, die Wortwahl, die Wortstellung, nicht wiedergeben. Die meisten anderen Übersetzungen glätten den Text, schieben eigene Erläuterungen ein, setzen ständig Klammer über Klammer. Aber der Koran hat einen anderen Charakter – zuweilen auch einen sperrigen. Ich habe versucht, den Koran so zu übersetzen, wie er sich anhört. Muslime hören nämlich oft den Text, wie er in der Moschee oder in der Koranschule vorgetragen wird.
Zischup: Was ist der wesentliche Kern des Korans?
Karimi: Der Koran lässt sich nicht zusammenfassen; aber er ist für Muslime die Offenbarung Gottes, die recht leitet, trägt, tröstet, zum Guten überzeugt und verpflichtet, das Leben bejaht, Vielfältigkeit und Andersartigkeit würdigt, Hass und Zerstörung ablehnt. Kurz: Der Koran verspricht Glückseligkeit für alle Menschen, die sich Gott hingeben.
Zischup: Wie sind Sie beim Übersetzen vorgegangen?
Karimi: Ich habe den Koran hörend übersetzt, nicht lesend. Ich habe einen bestimmten Vers oder eine Sure des Korans so oft gehört, bis ich in diese Sure, in diesen Vers hineingekommen bin und gespürt habe, was sie für einen Rhythmus haben. Ich habe mich gefragt, wie fühlt sich das an, wenn der Koran angehört wird. Muslime haben einen ganz anderen Zugang zum Koran, sie hören ihn eben, seinen Rhythmus, seine sprachliche Schönheit dringt ins Herz der Gläubigen. Natürlich lag der koranische Text vor mir. Dann habe ich versucht, Schritt für Schritt den Gedanken zu formulieren, den er ausdrücken will. Ich hab auch für viele Suren verschiedene Varianten übersetzt und mich dann am Ende für eine Variante entschieden. Übersetzung ist ein wenig wie Komposition – gerade bei so einem poetischen Text.
Zischup: Was unterscheidet dann Ihren Koran von den anderen Übersetzungen?
Karimi: Ich habe versucht, die Poesie des Korans ein Stück weit zu vermitteln, und darauf geachtet, nichts dazu zuschreiben oder Worte, die nicht gleich zu verstehen sind, zu interpretieren. Ich habe auch versucht, da, wo etwas sperrig und unverständlich ist, es auch so wiederzugeben. Der Koran ist selbst für Araber zum Teil sehr schwer zu verstehen und nicht immer eindeutig. Dies macht aber auch den Reiz des Korans aus.
Zischup: Haben Sie dafür ein Beispiel?
Karimi: In der Sure 97 heißt es zum Beispiel: "Wahrlich, Wir sandten ihn herab in der Nacht der Bestimmung." In der Sure selbst ist ungeklärt, dass es sich bei dem Wort "ihn" um den Koran handelt. Wenn es auch richtig ist, wie die islamische Tradition belegt, dass es sich hier um den Koran handelt, so ist die koranische Wendung offen. Und ich habe diese Offenheit bewahrt.
Zischup: Es gibt aber doch auch Gelehrte, die leiten aus dem Koran klare Gesetze und Regeln ab. Wie sehen Sie das?
Karimi: Sicherlich sind aus dem Koran auch Regeln und klare Verbote und Gebote zu entnehmen. Denn der Koran ist zugleich auch ein vorzügliches Werk für die Ethik. Wichtig ist nur, dass wir, die den Koran lesen und ihn interpretieren, also die Regeln verstehen und praktizieren wollen, mit Demut und Umsicht arbeiten, das heißt in aller Einfachheit: Wir würden unsere Religion verfehlen, wenn wir unser Wissen vom Koran zu absolutem Wissen erklären.
Zischup: Sie betonen die Schönheit des Korans. Heute aber wird der Islam in westlichen Ländern weniger mit Schönheit, sondern vielmehr mit Terrorismus in Verbindung gebracht. Was ist Ihre Meinung dazu?
Karimi: Jedes Werk, ob die Tora, das Evangelium oder der Koran, kann für pervertierte Zwecke des Terrors verfremdet werden. Aber ich bin von der schönen Wahrhaftigkeit und friedenstiftende Kraft des Korans überzeugt und übernehme gerne die Verantwortung argumentativ und praktisch zu zeigen, dass der Islam eine Bereicherung für unsere Mehrheitsgesellschaft sein kann.
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