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Die Botschaft der Rosa Delfine

  • Mi, 11. April 2018
    Ausland

     

Der Amazonasdelfin ist vom Aussterben bedroht / Tierschützer wie der Kolumbianer Fernando Trujillo versuchen, ihn zu retten und bestücken ihn mit einem GPS-Sender.

Fernando Trujillo  | Foto: philipp lichterbeck
Fernando Trujillo Foto: philipp lichterbeck
Kaum ist die Finne, die Rückenflosse des Delfins, aus dem bräunlichen Wasser des Flusses Orinoco aufgetaucht, rast das Fischerboot heran und zieht einen Kreis um das Tier. Einer der Fischer wirft ein Netz aus. Gleich darauf springen mehrere Männer ins brusthohe Wasser und schließen das Netz immer enger. Nach einiger Zeit schlägt der Delfin an einer Stelle mit der Schwanzflosse, er hat sich in den Maschen verfangen. Sofort eilen die Männer herbei und packen ihn. Es ist ein kolossales Exemplar, das jetzt von fünf Fischern umklammert auf eine Sandbank getragen wird. Ein sechster drückt ihm das lange, schnabelförmige Maul zusammen, in dem vier Reihen scharfer Zähne sitzen. Auffällig sind die rosa Stellen auf Kopf und Unterseite des Delfins, die sich vom Blaugrau des restlichen Körpers abheben.

Die Aktion, die auf den ersten Blick brutal wirkt, dient der Rettung des sagenumwobenen Amazonasdelfins. Die Art wird wegen ihrer im Alter auftretenden Farbpigmentierung häufig auch als Rosa Delfin bezeichnet. Auf der Roten Liste für gefährdete Arten gilt sie als "Vom Aussterben bedroht". Die Tierschutzorganisation WWF und die kolumbianische Hilfsorganisation Omacha wollen deshalb 50 Flussdelfine in fünf Ländern mit GPS-Sendern bestücken. Sie möchten mehr über die Aufenthaltsorte der kaum erforschten Säugetiere erfahren, um so auch Rückschlüsse auf den Zustand der Flüsse ziehen zu können. Vor wenigen Monaten lief das Projekt in Brasilien und Bolivien an. Nun wird es hier im Südosten Kolumbiens am mächtigen Orinoco-Fluss im Grenzgebiet zu Venezuela fortgeführt.

"Wir haben ideale Bedingungen", sagt der Leiter der Mission, Fernando Trujillo. Wegen der Trockenheit liegt der Wasserspiegel des Orinoco derzeit rund 15 Meter unter dem der Regenzeit und die Delfine haben sich in den flachen Buchten zwischen den Sandbänken zum Jagen versammelt. "Sie schlagen sich regelrecht die Mägen voll", sagt Trujillo. Der 50-jährige Kolumbianer gilt als weltweit wichtigster Experte für Flussdelfine. Vor 30 Jahren riet ihm Jacques Cousteau, der berühmte Meeresbiologe, zu der Spezialisierung. Es sei wissenschaftliches Neuland. "Die Delfine haben mich seitdem nicht mehr losgelassen", sagt er. Später gründete Trujillo die Nichtregierungsorganisation (NGO) Omacha, deren Ziel die Erforschung von Süßwassersäugern im Amazonasbecken ist.

Neben der GPS-Markierung will Trujillo den Delfinen auch Gewebeproben entnehmen. Diese sollen auf ihren Quecksilbergehalt untersucht werden. Das hochgiftige Schwermetall ist eine der größten Bedrohungen für die Amazonasregion geworden. Es stammt aus Tausenden illegalen Goldgewinnungsanlagen, die es ungefiltert ins Wasser leiten. In manchen Indio-Dörfern hat man bereits derart hohe Quecksilberkonzentrationen bei Kindern festgestellt, dass schwere Entwicklungsstörungen und frühzeitiger Tod absehbar sind. "Es kommen Babys mit sechs Fingern zur Welt", berichtet Trujillo. "Manche Indios haben Gedächtnisverlust, Nervenstörungen, können nichts mehr riechen und schmecken."

Das Amazonasbecken beherbergt den größten Urwald der Erde und 20 Prozent der weltweiten Süßwasservorkommen. Aber es ist kein unberührtes Paradies mehr, sondern ein wachsender Wirtschaftsraum mit mehr als 30 Millionen Einwohnern. Diese konsumieren Energie und Nahrung, brauchen Infrastruktur und Arbeit. Manche Wissenschaftler wie der US-Biologe Thomas Lovejoy und der brasilianische Klimatologe Carlos Nobre glauben, dass das Limit der menschlichen Expansion bald erreicht sein und das ökologische Gleichgewicht der gesamten Region kippen könnte. Sie sehen den Wendepunkt bei 20 bis 25 Prozent Abholzung erreicht. Dann würde der komplexe Wasserkreislauf der Region versagen.

Trujillo sieht den Flussdelfin daher auch als Chance, mehr Bewusstsein für die Bedrohungen zu schaffen. "Er könnte zum Botschafter des Amazonas werden", sagt er. Der Delfin sei ein Sympathieträger. Trujillo, der mit seinem wilden Bart und Kopftuch ein bisschen wie ein Flusspirat wirkt, packt nun mit an, das gerade gefangene Exemplar auf eine Matratze zu wuchten, die von einer Kunststoffplane bedeckt ist. Die Matratze soll das hohe Gewicht des Delfins abmildern, das auf seine Lunge drückt. Kaum liegt er, breiten Trujillo und seine Mitarbeiter nasse Handtücher über ihm aus, die sie ständig mit Wasser tränken. Um das Tier zu beruhigen, bedecken sie auch seine Augen, die nur wenig größer als Stecknadelköpfe sind. Eine Mitarbeiterin Trujillos drückt nun auf eine Stoppuhr und ruft: "Zehn Minuten!" Es ist die Zeit, die das Team hat, um alle Operationen auszuführen. "Theoretisch könnten es die Delfine auch sehr viel länger an Land aushalten", erklärt sie, "aber wir wollen sie nicht unnötigem Stress aussetzen." Sofort beginnt eine eingespielte Prozedur. Eine Veterinärin misst mit einem Stethoskop den Herzschlag des Delfins. "Im grünen Bereich", sagt sie. Dann beobachtet sie das Atemloch, das sich gerade öffnet und wieder schließt. Atmet der Delfin nicht mindestens dreimal pro Minute, müssen die Forscher ihre Aktion abbrechen, um das Tier nicht zu gefährden.

Bisher aber lässt das Tier die Prozedur entspannt über sich ergehen. Bevor der schwierigste Teil kommt – das Anbringen des GPS-Senders – wird der Delfin ausgemessen und sein Geschlecht bestimmt. Es ist ein Weibchen, 2,14 Meter lang. "Ganz schöner Brocken", ruft Trujillo begeistert. Dann entnimmt eine Biologin Sekretproben und schneidet ein winziges Stück aus der Schwanzflosse.

Unterdessen hat die Veterinärin drei Spritzen mit Betäubungsmittel in die Rückenflosse gepresst. "Man kriegt das Zeug kaum rein, so fest ist das Gewebe", sagt sie. Zusätzlich trägt sie Kältespray auf. Es folgt der wichtigste Part: Ein Akkubohrer wird an die Finne der Delfinkuh angesetzt und ein Loch hineingebohrt. Mit einer Schraubenkonstruktion bringt Fernando Trujillo nun den GPS-Sender an. Von seiner Aktivierung an wird er 280 Tage lang GPS-Koordinaten über Satelliten senden.

Als das Tier zurück zum Fluss getragen wird, winkt Trujillo einige Kinder herbei, die sich neugierig vom Ufer genähert haben. Sie gehören zu einer der armen Fischerfamilien, die entlang des Flusses leben. Trujillo sagt, sie könnten das Delfinjunge berühren und helfen, es ins Wasser zu lassen. "Die Fischer", sagt er, "nennen die Delfine böse Tiere – animales malos –, weil sie ihnen die Netze zerreißen." Das lernten schon die Kinder. Deren Angst will Trujillo durch den Kontakt mit den Tieren verändern.

Das Delfin-GPS-Projekt ist das erste im Amazonasbecken. Manche Tiere, insbesondere Männchen, können in jahrelanger Wanderung 1000 Kilometer zurücklegen. Die Weibchen seien sesshafter und in Rudeln zusammengeschlossen. Anhand ihrer Aufenthaltsorte möchte Trujillo den Regierungen der sieben Amazonas-Anrainer Vorschläge machen, welche Regionen besonders schützenswert seien. "Wo die Delfine sich aufhalten, sind auch viele Fische. Und wo viele Fische sind, ist die Flussflora besonders reich." Zwar würde er am liebsten ganze Flüsse unter Schutz stellen, aber das sei illusorisch, das mache keine Regierung.

Trujillo betrachtet sich nicht als radikalen Umweltschützer, sondern als Realist. Man müsse den immer mehr Menschen in Amazonien vernünftige und nachhaltige Entwicklungsmöglichkeiten geben. Eine Idee ist etwa der Aufbau eines Delfintourismus. "Nicht gegen die Natur, sondern mit der Natur arbeiten", nennt Trujillo das. 2007 erhielt er den renommierten Whitley Award, den "Grünen Nobelpreis", und zuletzt war er Protagonist in dem herausragenden US-Dokumentarfilm "A River Below". Darin geht es um die Schwierigkeiten, die Naturschützer haben, wenn sie die Interessen von Mensch und Umwelt versöhnen wollen.

Trujillo schätzt die Zahl der Rosa Delfine im Amazonasbecken auf 37 000. Eine der größten Gefahren seien die 124 Wasserkraftwerke in der Region; weitere 277 sind geplant. Sie zerstören große Waldflächen, unterbrechen die Verbindungen der Flüsse, sagt er. Außerdem siedeln sich in einem Radius von 40 bis 100 Kilometer Menschen an, es werden Straßen gebaut, die immer weitere Rodungen nach sich ziehen. "Aber ohne die Bäume sterben die Flüsse", sagt Trujillo. "Sie versanden, werden flacher, die Wasserkreisläufe versagen, es wird trockener und die Reproduktionszyklen kommen zum Stillstand."

Eine andere große Gefahr für die Flussdelfine ist die Jagd. Tausende Exemplare starben in den vergangenen Jahren, weil das fetthaltige Delfinfleisch als Köder beim Fang des Silberantennenwelses eingesetzt wurde, einem in Kolumbien sehr beliebten Speisefisch. Bis die kolumbianische Regierung Ende 2017 den Verkauf der Welse wegen zu hoher Quecksilberkonzentration verbot. "Es war ein indirekter Sieg für den Flussdelfin", sagt Trujillo. Er erhielt damals anonyme Morddrohungen, weil er als einer der Ersten auf die Quecksilberbelastung aufmerksam machte. Das passte der Fischindustrie nicht. "Der Amazonas ist immer stärker in der Hand von Konzernen", klagt Trujillo. Und die Regierungen seien schwach oder ganz abwesend.

Am Abend kehrt Trujillos Team in die Forschungsstation zurück, die in der Nähe des Städtchens Puerto Carreño liegt. Vier Delfine haben die Wissenschaftler mit Sendern ausgestattet sowie drei Jungtiere registriert. Die Dunkelheit bricht herein und ein sternenklarer Himmel spannt sich auf. Feuer lodern auf der venezolanischen Seite des Flusses, mit denen der Wald zur Jagd und zur Schaffung neuer Rinderweiden gerodet wird. Trujillo sitzt auf einem Uferfelsen und erzählt von den Legenden der Ureinwohner. Viele Indios im Amazonas verehren die Delfine als Götter, die auf dem Grund der Flüsse lebten. Es sind Ertrunkene, die sich in Menschen zurückverwandeln könnten und manchmal an Land kommen. Trujillo selbst wurde von den Indios schon für so ein Wesen gehalten. Er sei zurückgekehrt, sagten sie, um den Menschen die Nachricht der Delfine zu überbringen.

Der Autor war auf Einladung des World Wildlife Fund (WWF) in Kolumbien.

Wieso ist der Amazonasdelfin rosa?

Der Amazonasdelfin ist ein sehr interessantes Tier. Im Gegensatz zu anderen Delfinen lebt er in einem Süßwasserfluss und nicht im Meer.

Deshalb hat er zum Beispiel kurze, stachelige Haare auf seiner Schnauze, mit denen er im trüben Wasser Dinge ertasten kann. Außerdem hat der Flussdelfin hinten im Gebiss sehr breite Zähne. Damit kann er sogar den Panzer einer Schildkröte aufknacken. Ganz besonders ist auch die Farbe dieses Tieres: Amazonasdelfine sind in jungen Jahren noch grau, aber weil ihre Haut im Laufe ihres Lebens dünner wird, ist sie an manchen Stellen irgendwann ganz rosa. Dort kann man das Blut, das durch ihre Adern fließt, durchschimmern sehen. Ihre Farbe sehen können Flussdelfine übrigens nicht. Sie sind fast blind und benutzen wie Fledermäuse ihr Gehör, um sich zu orientieren.

Ressort: Ausland

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mi, 11. April 2018: PDF-Version herunterladen

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