Grossbritannien
Baby Charlies Leiden entwickelt sich zu einer bitteren Schlacht
Baby Charlie ist schwer krank. Die Ärzte wollen die Apparate abschalten und sein Leiden beenden. Die Eltern wollen weiter um sein Leben kämpfen. Das Gericht soll entscheiden. Erneut.
Di, 11. Jul 2017, 9:19 Uhr
Ausland
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Der Fall hat Schlagzeilen gemacht, nachdem sich unter anderem der Papst und US-Präsident Donald Trump des Themas angenommen hatten. Jetzt zogen die ersten Pro-Life-Demonstranten vor dem Great Ormond Street Hospital auf, dem Top-Kinderkrankenhaus des Landes. Am Montag ist die Sache zum zweiten Mal an den High Court, das höchste Gericht in London, gegangen. Der dortige Richter soll erneut darüber befinden, was im alleinigen Interesse Charlies das Richtige ist: Ob er in Kürze in Great Ormond Street soll sterben dürfen – oder ob seine Eltern ihn in ein Flugzeug verfrachten können, damit dem Kind in den USA eine "experimentelle Therapie" zuteil werden kann.
Für die Krankheit, an der Charlie Gard leidet, ist diese Behandlung allerdings bisher noch an keinem Kind erprobt worden. Und die Experten der Londoner Kinderklinik sind sich darin einig, dass jegliche Behandlung "fruchtlos" wäre und "nur Charlies Leiden verlängern" würde. Der Junge würde zum Versuchsobjekt.
Bei dem Kind wurde wenige Wochen nach der Geburt eine extrem seltene Erbkrankheit diagnostiziert, die im Urteil der Ärzte einen "katastrophalen und unumkehrbaren" Gehirnschaden auslöste (siehe Text unten). Der Kleine kann weder sehen noch hören noch aus eigener Kraft atmen oder schlucken. Er kann sich auch nicht bewegen. Experimentelle Behandlung, fand die Klinik, würde bei ihm nur "noch mehr Schaden anrichten".
Bis hinauf zum Supreme Court, zum Obersten Gericht des Landes, haben Richter diesem Urteil der Ärzte zugestimmt. Alle Gerichte haben die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen bei Charlie für rechtens befunden und dessen Verlegung aus Great Ormond Street untersagt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, der ebenfalls angerufen wurde, hat diesen Urteilen ebenfalls nicht widersprochen.
Aber die Eltern des Kindes, Connie Yates und Chris Gard, haben nicht locker gelassen bei ihrem Ringen um Weiterbehandlung ihres Kindes. Man habe hier "nichts zu verlieren", erklärte Yates, die selbst ausgebildete Pflegerin ist. Selbst wenn Charlie bei einer experimentellen Behandlung nur eine zehnprozentige Chance hätte, sei es den Versuch wert. Auch ihr Kind müsse "eine Chance haben zu leben", wie jedes andere Kind auch, meinte Connie Yates.
Inzwischen ist bei den Ärzten von Great Ormond Street ein Brief "mit bisher unveröffentlichtem Test-Material" von der zum Vatikan gehörenden Kinderklinik Bambinu Gesu in Rom eingegangen, unterzeichnet von einer Reihe von Ärzten aus verschiedenen Ländern. Das hat die Londoner Kinderklinik veranlasst, den High Court erneut als Schiedsgericht anzurufen. Niemand möchte beschuldigt werden, nicht genug getan zu haben, bevor eine Entscheidung umgesetzt wird.
Und an Beschuldigungen gibt es längst jede Menge. In der Kundgebung zu Wochenbeginn, zu der Pro-Life-Demonstranten aus den USA einflogen, wurde den Ärzten vorgeworfen, ihnen bedeute Charlies Leben wohl nichts. Der amerikanische Pro-Life-Pastor Patrick Mahoney zwang Great Ormond Street dazu, ihn am Bett des kleinen Charlie "für ein Wunder" beten zu lassen. Wütende Kommentare in den sozialen Medien haben den britischen Nationalen Gesundheitsdienst "eine Nazi-Institution" bezeichnet. Auch ein Vergleich mit Auschwitz fehlt nicht.
Hier werde ein schreckliches und schmerzliches Einzelschicksal schamlos ausgebeutet, klagte am Montag empört der liberale Londoner Guardian. Als bizarr empfand das Blatt vor allem die persönliche Anteilnahme des US-Präsidenten an dem britischen Baby, da Donald Trump "zu gleicher Zeit entschlossen ist, den Anspruch von Millionen amerikanischen Babys auf Gesundheitsfürsorge aufzuheben". Trump hatte vor ein paar Tagen getwittert, er würde dem kleinen Charlie Gard liebend gern helfen. Zwei republikanische Kongressabgeordnete erboten sich an, Charlie und seinen Eltern Bleiberecht in den USA und freie Behandlung zu verschaffen. Auch Papst Franziskus kündigte Unterstützung an.
Solche Einmischung in ein ärztliches und moralisches Dilemma in London hielt die Präsidentin des Royal College für Kinderärzte, Neema Modi, allerdings für nicht hilfreich. Kein Arzt, kein Richter, meinte Professorin Modi, mache sich eine Entscheidung wie diese leicht. Charlies Eltern verwiesen wiederum darauf, dass sie 350.000 Unterschriften für ihre Sache und 1,3 Millionen Pfund gesammelt haben. Sie hoffen inständig auf eine Zustimmung zu der Reise nach Amerika.
- Hintergrund: Charlies Krankheit
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