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Interview

Ihringer Winzer Joachim Heger: "Da gibt es eine Wahnsinnshitze"

Klaus Riexinger
  • So, 29. September 2024, 11:30 Uhr
    Südwest

     

Joachim Heger gehört seit Jahrzehnten zu den Top-Winzern in Baden. Im Interview erklärt der Ihringer, wie die steigenden Temperaturen den Weinbau verändern – und warum er nicht Arzt geworden ist.

Joachim Heger mit einem Riesling aus dem Winklerberg im Hof seines Weinguts  | Foto: Klaus Riexinger
Joachim Heger mit einem Riesling aus dem Winklerberg im Hof seines Weinguts Foto: Klaus Riexinger

BZ: Herr Heger, im italienischen Top-Weinanbaugebiet Barolo gab es diesen Sommer einen Streit darüber, ob man wegen der extremen Hitze in den Weinlagen – bis zu 70 Grad – nicht besser die Nordhänge mit Reben bestockt. Was halten Sie von der Idee?

Man kann es auf jeden Fall mal probieren. Wobei das Barolo sehr oft Probleme mit Nebel in den späten Lesemonaten hat. Die Nebbiolo-Traube ist auch nicht ganz so einfach. Die Traube ist dünnschalig und so kommt es schnell zu Fäulnis.

BZ: Eine Toplage in Baden ist der Ihringer Winklerberg. Eine sonnenexponierte Fläche an der Südspitze des Kaiserstuhls, die manche wegen der Spitzenweine, die dort wachsen, Zauberberg nennen. Kommen Ihre Reben dort mit den steigenden Temperaturen noch klar? Ist die Hitze nicht längst zum Malus geworden?

Es wird Sie überraschen: Die Weine vom Winklerberg haben sich im Vergleich vielleicht sogar am wenigsten verändert und wir haben die gleichen Mostgewichte wie früher. Dafür muss man natürlich auch was tun. So lesen wir viel früher, weil die Trauben früher reif sind. Die Pflanzen verfügen aber auch über einen Selbstschutz: Wenn die Temperaturen stark steigen, hören die Reben irgendwann auf zu assimilieren – sie stellen in den steinigen Vulkanböden die Photosynthese ein und produzieren keinen Zucker mehr. Das merkt man bei allen Rebsorten, auch beim Riesling.

Joachim Heger, studierter Önologe, führt das renommierte Ihringer Weingut Dr. Heger mit seiner Frau Silvia in dritter Generation. Heger ist zudem Vorsitzender des Regionalverbandes Baden im Verband deutscher Prädikatsweingüter. Die beiden Töchter Katharina und Rebecca übernehmen das Weingut derzeit.

BZ: Sie haben die Folgen des Klimawandels im Winklerberg also gut im Griff?

Der Winklerberg ist eine extrem heiße Lage. So lange ich denken kann, wachsen dort wilde Kakteen. Und die vermehren sich schneller, als wir uns das wünschen. Ja, die Temperaturveränderung wirkt sich dort nicht so stark aus. Was wir aber zu spüren bekommen, ist die Wasserknappheit. Die Wasserhaltefähigkeit in dem steinigen Boden ist sehr begrenzt. In manchen Jahren setzen wir deshalb auf künstliche Beregnung. Das meiste Wasser verschwindet aber gleich im Untergrund. Deshalb sind wir zur Tröpfchenberegnung übergegangen. Was ebenfalls neu ist, sind diese trocknenden Winde. Das fühlt sich an wie ein Heißföhn. Es heißt, dass jeder Wind bis zu 50.000 Liter Wasser pro Hektar aus dem Boden nimmt. Gegen diese Verdunstung decken wir die Böden teils mit Stroh und Mulch ab. Das baut den Humus auf und erhöht die Wasserhaltekapazität.

BZ: Und Ihre traditionellen Weinsorten bauen Sie dort weiter an?

Umgestellt haben wir in den oberen, mit Mauern umrandeten Kleinterrassen, wo es im Sommer eine Wahnsinnshitze gibt. Für den Riesling wurde es dort zu heiß. Vor 30 Jahren haben wir Spätburgunderedelreißer auf Rieslingwurzeln aufgepfropft, also grünveredelt. Und jetzt haben wir ihn sogar auf Syrah grünveredelt. Den Spätburgunder in der Lage nebenan kriegen wir durch eine sehr frühe Lese, manchmal schon Ende August gut hin. Vor 40 Jahren bin ich Anfang September noch in den Urlaub gefahren. Wir haben dann im Oktober mit der Lese angefangen. Das ist längst vorbei.

Der Winklerberg in Ihringen im Abendlicht  | Foto: Dirk Sattelberger
Der Winklerberg in Ihringen im Abendlicht Foto: Dirk Sattelberger

BZ: Neben dem Müller-Thurgau und dem Riesling bekommt auch der Grauburgunder Probleme mit der Hitze – die Leitsorte des Kaiserstuhls.

Das Problem beim Grauburgunder ist, dass er dünnschalig ist. Deshalb platzen die Beeren wesentlich leichter als bei anderen Sorten. Und er hat weniger Säure. Ich hatte den Grauburgunder fast schon abgeschrieben. Die Züchtung der Rebstöcke – Klone – geht aber weiter. Neuere Klone sind an die steigenden Temperaturen besser angepasst. Die Beeren sind lockerer, mischbeeriger und quetschen sich nicht gegenseitig ab. Die Weine aus solchen Anlagen präsentieren sich sehr vielversprechend. Ein Leben am Kaiserstuhl ohne den Grauburgunder indes kann ich mir nicht so richtig vorstellen.

BZ: Viele Winzer setzen jetzt auf die pilzwiderstandsfähigen Neuzüchtungen, also Piwis. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Wir haben schon sehr früh damit angefangen. So ganz überzeugt bin ich noch nicht. Die Sorte Souvignier Gris ist aber weinbaulich megainteressant.

BZ: Das sagen viele.

Das muss man weiterverfolgen. Wenn das weitgehend ohne Pflanzenschutz funktioniert, dann machst du mit der Sorte alles platt: Neben Wein kann man daraus Esstrauben oder Neuen Süßen machen. Man kann die Trauben auch hängen lassen, weil sie dickschalig sind. Die reifen ewig, haben aber immer noch eine gute Säure. Aber was soll ich sagen: Die Sorte ist geschmacklich noch nicht so weit. Die Euphorie ist groß. Ich sehe momentan aber noch nicht, dass damit die traditionellen Rebsorten abgelöst werden können.

BZ: Der Weinanbau erlebt in vielen Bereichen einen Umbruch. So nimmt auch der Druck zu, auf Bioanbau umzustellen. Was hat den Ausschlag gegeben, dass Sie jetzt umstellen? Verlangen es die Kunden?

Schon auch. Die ganze Welt wird bewusster. Selbst die renommiertesten Starbetriebe in Frankreich haben umgestellt auf Bio. Wir haben es schon in den vergangenen Jahren immer wieder versucht und ohnehin immer nach der guten fachlichen Praxis gearbeitet: den Pflanzenschutz auf ein Minimum reduzieren, ohne Insektizide und ohne Herbizide. Nun wollen wir den nächsten Schritt gehen und weiter nachhaltig im Zyklus mit den Pflanzen arbeiten. Das Hauptproblem sind die Pilzkrankheiten Peronospera und Oidium. Jetzt kann man diskutieren, ob Kupfer, der im Bioweinbau erlaubt ist, besser oder schlechter ist. Wenn die EU Phosphonat für den Bioanbau zulassen würde, dann gäbe es wahrscheinlich einen Erdrutsch in Richtung Bio. Mit einem Federstrich könnte man dem Ökoweinbau die Tore öffnen. Die Wissenschaft müsste jetzt mal erklären, wie das Mittel, das ja keine Anreicherung im Boden aufweist und keine Bodentierschädigung besitzt, zu bewerten ist. Ich hoffe, dass der entsprechende EU-Kommissar zur Einsicht kommt und das Mittel endlich wieder zulässt.

BZ: Wie sind Sie mit dem Bioanbau durch den verregneten Sommer 2024 gekommen – mit Unmengen von Kupfer?

Nein. Für Kupfer gibt es ja eine Obergrenze. Mehr geht nicht. Trotzdem mussten wir jede Woche raus, so dass wir auf eine Vielzahl von Spritzungen gekommen sind.

BZ: Die Weinkunden werden älter und weniger. Zudem geht der Marktanteil heimischer Weine zurück. Wie stellen Sie sich darauf ein?

Es sind eher die Basisweine, die bei uns nicht mehr so gut laufen, auch weil es hier sehr viel Konkurrenz gibt. Was gut läuft, sind die Spitzenweine aus dem Winklerberg oder aus dem Achkarrer Schlossberg. Man muss vermitteln können, warum diese Weine so teuer sein müssen. Das teuerste ist die menschliche Arbeitskraft.

BZ: Und nun gibt es auch noch eine Alkoholdiskussion. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt neuerdings, statt einer Obergrenze ganz auf Alkohol zu verzichten. Schadet das der Branche, oder orientiert sich daran ohnehin keiner?

Das schadet schon der Branche. Ich sehe es aber nicht ganz so dramatisch. Schon in der Bibel finden sich Zitate zum Wein. Seit hunderten Jahren trinken die Menschen Wein. Und es ist noch nicht lange her, als die Vorzüge des Weins gepriesen wurden. Entspannung, bewusstes Genießen und die damit einhergehende Kommunikation haben auch eine lebensverlängernde Wirkung. Wein ist ein Kulturgut und trägt prägend zur Erhaltung der Kulturlandschaft bei.

BZ: Können Sie sich vorstellen, alkoholfreie Weine herzustellen?

Ich beobachte es mit großem Interesse und stehe dem Produkt grundsätzlich positiv gegenüber. Das Problem ist, dass es noch viel Zucker enthält. Ich habe das auch probiert – die Weine sind mir aber noch zu süß. Ich denke, der gute Standard von alkoholfreien Bieren sollte das Ziel beim Wein sein. Beim alkoholfreien Sekt ist man schon recht weit. Es ist ganz gewiss eine Bereicherung des Angebotsspektrum.

BZ: Sie übergeben Ihren Betrieb an Ihre Töchter. Welchen Rat geben Sie ihnen mit auf den Weg?

Ich gebe ihnen mehr Ratschläge als sie gerne hören (lacht). Die sind sehr fit und waren während ihrer Ausbildung auf der ganzen Welt unterwegs. Keine Zweifel: Sie haben das Rüstzeug. Wenn der Wein abgefüllt wird, bin ich aber immer dabei. Ich bringe einfach 44 Jahre Erfahrung mit. Natürlich kommen sie mit neuen Ideen, sie rennen aber nicht jedem Trend hinterher.

Mich hatte der Weinvirus gepackt – ich wollte Winzer werden.

BZ: Sie standen am Anfang Ihrer Karriere vor der Frage: Arzt oder Winzer? Haben Sie die Entscheidung jemals bereut?

Es stimmt, ich wollte Arzt werden. Ich hatte aber den Numerus clausus bei weitem nicht geschafft. Ich habe dann geklagt und tatsächlich einen Studienplatz in Hannover bekommen. Ich war genau einen Tag dort – und mir hat es überhaupt nicht gefallen. Während meiner Wartezeit auf den Studienplatz habe ich in Geisenheim angefangen, Önologie zu studieren. Wenn ich ehrlich bin, war meine Entscheidung schon vor meiner Fahrt nach Hannover gefallen: Mich hatte der Weinvirus gepackt – ich wollte Winzer werden.

BZ: Sie haben es also nicht bereut?

Nein. Ich bin damals auch in eine Superzeit reingekommen. Die Leute haben plötzlich angefangen, trockenen deutschen Wein in den Restaurants zu trinken.

BZ: Dafür hat Ihre Generation auch was getan. Qualitativ konnten sich die deutschen Weine plötzlich sehen lassen.

Ja, aber dafür musste auch der Nährboden, also das Verständnis da sein. Deshalb sage ich, dass wir ein Riesenglück hatten. Viele, die später Karriere gemacht haben, waren bei mir im Semester. Egon Müller, der bekannteste deutsche Winzer oder Marcel Tyrell vom Weingut Karthäuserhof etwa, oder die späteren Geisenheimer Professoren Monika Christmann und Hans-Reiner Schultz. Ich habe dann zehn Jahre mit meinem Vater zusammen gearbeitet, bevor er mir 1991 schweren Herzens den Betrieb übergab – und es schon am Tag danach bereute (lacht). Ich glaube, heute wäre er aber stolz darauf.

Ressort: Südwest

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