Unterm Strich
Eine theoretische Annäherung an den Schokoadventskalender
Advent, Advent, so mancher rennt, um noch auf den letzten Drücker einen Adventskalender zu kaufen. Vermutlich wird’s der Klassiker: der Schokoadventskalender. Was?
Mi, 1. Dez 2021, 0:00 Uhr
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So zeichnet diese mit pittoresker Weihnachtsmotivik bedruckten und an die Wand zu hängenden Pralinenschachteln aus Sicht der Kunsttheorie eine Besonderheit aus: Wie wohl keine andere Kunstform vereint der Schokoladenadventskalender stille Anschauung und Aufforderungscharakter. 24 Tage lang werden wir jeden Morgen aufs Neue herausgefordert, ein vorgestanztes Stück aus dem Werk herauszubrechen: Wir pulen das siebte Türchen mitten aus dem glitzernden Weihnachtsbaum. Ein Loch klafft seit dem zwölften Dezember im Schlitten von Santa Claus. Und bis Weihnachten haben wir das Strohdach der Krippe zerfetzt, den Ochsen zerlegt und zwei von drei Mitgliedern der heiligen Familie geköpft, inklusive Jesuskindelein.
Auf diese Weise tragen wir – selbst schöpferisch – zum Gesamtkunstwerk bei. Die Grenze zwischen Betrachtendem und Werk wird aufgelöst. Wie Brechtsches Theater, nur konsequenter. Als würden die Zuschauer und Zuschauerinnen während der Aufführung die Bühne entern, Kulissen umschubsen und an der Rampe spontane Monologe deklamieren. Theoretisch betrachtet, ist der Schokoadventskalender radikale Perfomancekunst.
Doch letztlich bringt die schöpferische Zerstörungskraft ein versöhnliches, ja weihnachtliches Werk hervor. Während Maria und Josef in Bethlehem nur auf verschlossene Pforten trafen, reißen wir nämlich bis Heiligabend alle verfügbaren Türchen auf. Wir machen Platz in unseren Herzen wie in den Pappschachteln an der Küchenwand. Und das bisschen Schokolade stecken wir auch noch weg.
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