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O’zapft am Oasch

Patrik Müller
  • Sa, 28. September 2024

     

Wieder ist Oktoberfest, wieder ist die Mass teurer geworden, wieder gibt es kein Entrinnen. Nicht mal in Waldkirch ist man sicher. München ist gerade immer und überall.

Foto: BZ-Grafik
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Vielleicht habe ich keine Ahnung. Vielleicht bin ich auch einfach nur ein Grantler, ein Saupreiß quasi, der dem Nachbarn das Schwarze unterm Fingernagel nicht gönnt und erst recht keinen Spaß. Aber, sorry: 15 Euro für einen Liter Bier?

Wenn der Sommer zu Ende geht, wenn die Tage kürzer werden und die Nächte länger, kristallisieren sich zwei Extreme heraus. Nummer eins kramt Lederhose oder Dirndl aus dem Schrank, steht schon Stunden vor der Wiesn-Öffnung am Eingang und wartet. Nummer zwei schüttelt den Kopf und schickt bei Whatsapp oder Twitter (heute leider: X) Videos an seine Freunde, in denen Hunderte von Menschen in Richtung Schottenhamelzelt sprinten, sobald das Festgelände öffnet: Schau dir die Seppl an! Ich denke, ich tendiere eher dazu. O’zapft is? Geht mir am Oasch vorbei.

Es könnte mir ja eigentlich egal sein, was ein paar Millionen Menschen mit ausreichend Sicherheitsabstand zu mir so machen. Aber kürzlich musste ich meinem knapp fünf Jahre alten Sohn erklären, warum beim Supermarktbäcker in Waldkirch blauweiße Girlanden über den Brezeln hängen. Papa, sagt er und schaut mich an, warum sind da Fahnen? Ich atme tief durch: Also, sage ich: In München, wo deine Cousine wohnt, gibt es ein ganz großes Fest. Das nennt sich Oktoberfest und ...

Der Kleine schaut mich an: Ist das Fest hier? Ich schüttle den Kopf. Nein, sage ich, das ist in München, da muss man ganz lang fahren. Aber warum, fragt er, sind die Fahnen dann da? Kommt der Bäcker aus München? Es ist kompliziert. Und ich habe nicht ganz die Wahrheit gesagt, denn Oktoberfeste gibt es mittlerweile auch in Südbaden. Auch hier torkeln Halbstarke in Krachledernen durch die Straßen, auch hier warten Dirndlträgerinnen auf Busse. Sie sind überall, es gibt kein Entrinnen.

Mei, würden meine Münchner Freunde und Bekannten jetzt sagen, die fast alle nicht aus München stammen, aber auch mal aufs Oktoberfest gehen, sogar in Tracht, wenn die Firma Tische reserviert hat. Das Wörtchen Mei ist mit der höchste Ausfluss der bayrischen Kultur, jemand hat es mal als Toleranzformel bezeichnet, es steht für eine gelassene Grundhaltung und fehlt in anderen Sprachen. Mei. Sollen sie sich halt verkleiden und Fantasiepreise für ihr Bier zahlen.

Ein bisschen, denke ich, verstehe ich Bayern schon. München ist die deutsche Großstadt, die ich am häufigsten besucht habe. Ich habe Günther Sigl interviewt, den Sänger der Spider Murphy Gang, und den Bad Reichenhaller Marihuana-Liedermacher Hans Söllner. Vor ein paar Jahren war ich auf einer unvergesslichen Hochzeit im Münchner Umland, die so traditionell war, dass die Hälfte der Gäste in Tracht kam und schon gegen Mitternacht wieder ging. Okay, ganz so traditionell war es nicht, es gab noch einen zweiten Bräutigam und einen Kuchen in Regenbogenfarben und in Penisform.

Und natürlich war ich schon mal auf dem Oktoberfest. Es war ein kurzer Besuch, wir wollten gucken. Die Festzelte waren weiß, der Himmel blau, an Bauzäune gelehnt saßen müde Teenager auf dem Boden und guckten ins Leere, wir durften die Rucksäcke nicht mit ins Zelt nehmen und gingen wieder. Den Kotzhügel, immerhin, sahen wir aus der Ferne.

Es war ein Preuße, der sagte, dass jeder nach seiner Façon selig werden soll. Näher am Mei kann ein Nichtbayer eigentlich nicht sein. Und näher ans Mei komme auch ich nicht, Grantler, der ich bin.

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