Strenge Selektion

Wie Matthias Maurer Astronaut geworden ist

Der neue deutsche Astronaut Matthias Maurer hat eines der härtesten Bewerbungsverfahren auf der ganzen Welt hinter sich. Statistisch gesehen hat man eine 0,75-Promille-Chance.  

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Aquanaut: Die Bewegung in der Schwerelosigkeit übt man am besten im Tauchbecken. Foto: ESA (2)/dpa/HE Space Operations
Es gibt Berufe, da wird nur alle zehn Jahre eine Stelle frei. Einfach deshalb, weil es nur ganz wenige Jobs dieser Art gibt. Raumfahrer zum Beispiel. Das europäische Astronautencorps besteht nur aus 14 Aktiven, rekrutiert aus acht Ländern. Unter ihnen sind zwei Deutsche: der Baden-Württemberger Alexander Gerst und – seit neustem – der Saarländer Matthias Maurer.

Wer sich bei der ESA, der europäischen Raumfahrtagentur bewirbt, hat statistisch gesehen eine 0,75-Promille-Chance, am Ende tatsächlich Raumfahrer zu werden. Nur alle 15 bis 20 Jahre sucht die Agentur Nachwuchs für den Arbeitsplatz im All. Im Jahr 2009 fand die letzte Bewerberrunde statt – seit 1978, als die ESA anfing, Menschen ins All zu schicken, gab es überhaupt nur drei. Der Andrang war beachtlich: Mehr als 8000 ernsthafte Interessenten meldeten sich. Es folgte eines der härtesten Auswahlverfahren der Welt, aus dem gerade mal sechs Neulinge hervorgingen.

Unter ihnen war Gerst. "Astro_Alex", so nennt er sich bei Twitter, hat jetzt schon eine beachtliche Karriere hingelegt. Der Geophysiker aus Künzelsau war mehr als fünfeinhalb Monate auf der Internationalen Raumstation ISS. Ende 2018 soll er wieder dort hinfliegen, für einige Zeit sogar das Kommando übernehmen. Gerst traut man auch Höheres zu. Sein Name fällt immer wieder im Zusammenhang mit einer eventuellen Mondmission unter europäischer Beteiligung.

Mit Gerst war auch Matthias Maurer in der 2009er-Auswahl. Der Materialwissenschaftler kam in die Runde der letzten zehn, fiel dann aber dem nationalen Proporz zum Opfer, nach dem das ESA-Astronautencorps besetzt ist. Nun wurde Maurer nachnominiert, weil einige Raumfahrer aus Altersgründen ausgeschieden sind und Deutschland unterrepräsentiert ist.

Optimales Astronautenalter

Gerst ist 41, Maurer 36 – beide sind damit im optimalen Astronautenalter, das laut Ulrich Walter, ehemaliger D2-Astronaut und heute Professor an der TU München, zwischen 35 und 50 Jahren liegt. Was nicht heißt, dass es nicht auch Ältere gibt, die noch einmal die Aussicht auf unseren blauen Planeten genießen wollen. Wie zum Beispiel John Glenn, 1962 der erste Amerikaner im All. Mit 77 bestieg er ein Space Shuttle und umkreiste in neun Tagen 134-mal die Erde. Man sollte das nicht belächeln. Ältere spielen durchaus eine Rolle in der Raumfahrt. Auf sehr langen Missionen wie zum Mars sind Astronauten einer hohen Strahlenbelastung ausgesetzt, deren Folgeschäden für Senioren nicht so gravierend sind.

Bei ihren Ausschreibungen für Berufsanfänger zielt die ESA auf Kandidaten zwischen 27 und 40 Jahren. Früher hatten Piloten eine besonders gute Chance, doch das Berufsbild hat sich gewandelt. Der Astronaut heute ist in erster Linie Forscher im All, der in der Schwerelosigkeit Experimente – zur Materialforschung oder Medizin – betreut. Eine Pilotenausbildung braucht er zwar auch, aber die Steuerung des Raumschiffs ins All übernimmt ohnehin der Kommandant der russischen Sojusrakete. Oder ein Amerikaner, wenn diese wieder in der Lage sind, bemannte Raumschiffe ins All zu schicken.

Der ideale Bewerber kann ein abgeschlossenes Studium in Physik, Biologie, Chemie, Medizin oder in Ingenieurswissenschaften vorweisen. Gerst wie Maurer sind sogar promoviert. "Man sollte in seinem Fach wirklich gut sein, besser noch sehr gut", sagt Walter. Selbstverständlich sollte der Raumfahrer in spe fließend Englisch sprechen, Russischkenntnisse sind von Vorteil.  Das Team der ISS ist international und multikulturell. Toleranz ist eine wichtige Charaktereigenschaft. Der frühere Astronaut Thomas Reiter formulierte es so: "Der Kandidat muss hoch motiviert, flexibel, teamfähig, einfühlsam und emotional gefestigt sein."

Auf die Physis kommt es nicht weniger an. Ohne (durch zahlreiche Atteste) nachgewiesen zu haben, dass er kerngesund ist, kommt keiner an den Job im All. Schließlich muss das Risiko, da oben plötzlich krank zu werden, möglichst gering sein. Entgegen eines verbreiteten Vorurteils sind Brillenträger nicht von vornherein ausgeschlossen. Voraussetzung ist eine gute Kondition – was aber nicht heißt, dass man gleich Leistungssportler sein muss. Im Gegenteil: "Zu viele Muskeln sind nicht gut. In der Schwerelosigkeit braucht man sie ohnehin kaum mehr", sagt Ulrich Walter. "Außerdem verbrauchen sie dort nur unnötig Sauerstoff, und ein vergrößertes Herz verursacht bei Unterbelastung meist Herzrhythmusstörungen."

Einen Muskelkater kann man sich im All trotzdem holen – nicht an Bord der Station beim Forschen und der täglichen Routine, sondern draußen, beim Weltraumspaziergang. "Man kämpft gegen die Steifigkeit des massigen Weltraumanzugs an", sagt Walter, "da kommen Sie schweißgebadet raus."

Zu viele Muskeln stören nur

Das eigentlich Anstrengende im All ist Walter zufolge die psychische Belastung, weil man immer mehreres gleichzeitig zu tun hat. Und es unter Umständen plötzlich brenzlich werden kann. So erging des dem Deutschen Reinhold Ewald, der 1993 auf der russischen Station Mir ein Feuer löschen müsste.

Neben motorischen, logisch-mathematischen und kognitiven Tests nehmen denn auch Stresstests breiten Raum ein. Das A & O ist die Fähigkeit zum Multitasking, die im Flugsimulator getestet wird: Der Astronaut muss navigieren, zugleich mit der Bodenstation kommunizieren, seine nächsten Aktionen planen – und dann auf ein eingespieltes unvorhergesehenes Ereignis reagieren, den Ausfall der Elektronik zum Beispiel. "Dann fängt man an zu wirbeln", sagt Walter.

Wer am Ende des einjährigen Testmarathons zur Schar der Auserwählten gehört, für den beginnt eine mindestens vierjährige Ausbildung. Zunächst werden die Neulinge in allen Disziplinen, die im All relevant sind, geschult – eine Art naturwissenschaftlich-technische Grundausbildung also. Der Physiker beschäftigt sich mit Biologie, der Chemiker mit Elektrotechnik. Phase zwei dreht sich um die Raumstation und ihren Betrieb, die dem Astronauten bis in die hinterste Ecke vertraut sein muss. Die Nasa hat eine Replik der ISS unter Wasser, so dass eins zu eins geübt werden kann. Die letzte Phase ist "missionsspezifisch". Jeder trainiert für seinen Einsatz, übt den Umgang mit seinem Experiment. Gewöhnungsbedürftig ist natürlich die Schwerelosigkeit. Ein Gefühl fürs All bekommen die Astronauten bei sogenannten Parabelflügen – Flügen im Sturzflug, bei denen sie für einige zig Sekunden die Schwerelosigkeit erleben. Das Haupttraining erfolgt unter Wasser. Der Taucher ist ja quasi schwerelos. Geübt wird mit Werkzeugen, die im Wasser schweben. Dort gibt es auch einen Vorgeschmack darauf, wie schwierig die räumliche Orientierung im All ist. Oben kann dort unten sein und rechts links, je nach Position.

Auf dem Plan stehen außerdem Gruppentrainings, bei denen es darum geht zu lernen, dass alle Teammitglieder miteinander "können" müssen und jeder auf jeden angewiesen ist. Dazu geht es in die Unterwasserstation "Aquarius" der Nasa in Florida (Neemo). Einen ähnlichen Zweck haben auch die Caves-Aufenthalte der ESA. Dabei lebt die Crew eine Woche lang in mehreren Hundert Metern Tiefe in einer Höhle.

Bis ein Astronaut tatsächlich zum Einsatz kommt, kann es einige Jahre dauern. Mehr als zwei Raumflüge im Lauf einer Karriere sind selten, der deutsche Ulf Merbold kam als einziger ESA-Mann auf drei. Und was macht ein Astronaut, wenn er gerade nicht im All herumspaziert? "Er bildet sich weiter, trainiert, bereitet sich auf seinen nächsten Einsatz vor oder arbeitet als Berater in Raumfahrtgremien", sagt Ulrich Walter.

Das Einstiegsgehalt liegt bei etwa 5000 Euro monatlich netto. Reich wird man als Astronaut also nicht. Aber der Blick aus dem All auf die Erde ist einzigartig. Manche Weltraumtouristen haben dafür schon zweistellige Millionensummen bezahlt.





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