Kino
Das sinnliche und schöne Coming-of-Age-Drama „Mit Siebzehn“ von André Téchiné
Es ist fast ein Vierteljahrhundert her, dass André Téchiné einen Film drehte, der Cineasten für immer im Gedächtnis bleibt: „Wilde Herzen“ erzählte eindrucksvoll vom Erwachsenwerden in Frankreich zur Zeit des Algerienkriegs.
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Das war 1994 und der französische Regisseur schon damals über 50. Er hat mit allen Grandes Dames des französischen Kinos gedreht, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert, Juliette Binoche, Emmanuelle Béart, aber nie vergleichbare Furore gemacht, zuletzt warf man ihm gar Langatmigkeit vor. Aber jetzt, als doch ziemlich gesetzter Mann (am Montag wurde er 74 Jahre alt), kommt er noch einmal mit einem Jugenddrama, so frisch und ohne jede Altherrenmentalität, dass man den Schlag der wilden Herzen hören kann, als wär’s zum ersten Mal.
"Mit Siebzehn", von der in Freiburg ansässigen Kool Filmdistribution in die deutschen Kinos geholt, offenbart seinen Charme freilich nur einem Publikum, das bereit ist, sich zwei Stunden lang auf eine Geschichte einzulassen, deren Plot man in weniger als 140 Zeichen twittern könnte: Zwei verfeindete Klassenkameraden in einem französischen Pyrenäenort entdecken über Umwege ihre gegenseitige Sympathie und Liebe. Für die meisten jungen Leute dürfte dieser Film zu lang sein, zu ruhig, zu ereignislos – dabei wäre es spannend zu erfahren, ob sie sich wiedererkennen können und das Lebensgefühl mit 17, wie Téchiné und seine Koautorin Céline Sciamma es inszenieren. Und was sie mit dieser Art von Action anfangen, die der Film zeigt. Denn bewegungsarm ist der in keiner Sekunde.
Im Gegenteil: Thomas (Corentin Fila) und Damien (Kacey Mottet Klein) pflegen ihre Antipathie mit Fäusten und Fußtritten, sobald sie aufeinandertreffen. Warum, ahnt der Zuschauer früher als sie selbst. Die Aggression scheint von Thomas auszugehen. Der Junge aus dem Maghreb wohnt mit seinen Adoptiveltern auf einem Bauernhof oben in den Bergen, drei Stunden braucht er jeden Tag für den Schulweg, dazu hilft er daheim bei den Tieren, kein Wunder, dass es nicht so aussieht, als könne er sich seinen Traum erfüllen und Tierarzt werden.
die Magnete
zusammenfinden
Téchiné und sein Kameramann Julien Hirsch zeigen den robusten, pragmatischen Tom und den zarten, schwärmerischen Damien, der Rimbaud zitiert, wo Tom in der Natur lebt, als ein Paar, das einander bereits unwiderstehlich anzieht, als es noch glaubt, Kinderkeile auszuteilen. Ihre Körper fliegen wie Magnete aufeinander – und stoßen sich immer wieder in letzter Sekunde ab, weil ein Schlag halt einfacher ist als eine Umarmung. Vor allem für Tom, den Nordafrikaner, der Damiens Blick spürt und nicht weiß, wie er damit umgehen soll. Wenn er nachts allein im eiskalten Bergsee badet, dann ist das die narzisstische Feier seines schönen Körpers und Gefühlsabkühlung zugleich.
Überhaupt die Natur: Auch sie spielt eine Hauptrolle, von der ersten Szene an, wo eine sekundenkurze Tunnelfahrt vom sommerlichen Grün ins Schneegestöber mündet – was für ein Bild für die Aufruhr der Herzen mit 17! Die Vierte im Bunde der nachhaltig beeindruckenden Darsteller ist Sandrine Kiberlain, gleichermaßen berührend als warmherzige Mutter wie als untröstliche Witwe, deren Mann aus dem Krisengebiet im Sarg zurückkommt.
Der Tod von Damiens Vater bringt eine neue Qualität in die Beziehung der Jugendlichen: Thomas kann eine liebevoll-emphatische Berührung wagen, ohne Angst haben zu müssen, sein Begehren zu outen. Damien aber argwöhnt bloßes Mitleid und geht auf Distanz – im Spiel von Anziehung und Zurückweisung haben sich die Vorzeichen verkehrt. Doch irgendwann werden die Magnete mit umso größerer Wucht zusammenfinden. Das sehr explizite Finale dieses Films sollte freilich nicht vergessen machen, dass er nicht allein vom Erwachen der Homosexualität erzählt. Sondern vom Sturz aus der Kindheit und dem Wachsen in eine eigene Sinnlichkeit und Identität.
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