Menschenrechtler in Ägypten

Warum hat Kairo den besten Freund unseres Korrespondenten verhaftet?

Der Menschenrechtler Gasser Abdel Razek ist in Ägypten verhaftet worden. Er sitzt in einer Isolationszelle mit einem Metallbett ohne Matratze. Es gibt internationale Protest – aber sind sie ernstgemeint?  

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Gasser Abdel Razek kämpft in Ägypten seit vielen Jahren für Menschenrechte.    | Foto: Karim El-Gahwary
Gasser Abdel Razek kämpft in Ägypten seit vielen Jahren für Menschenrechte. Foto: Karim El-Gahwary
Befürchtet haben wir es schon lange, dass er verhaftet wird. Zu sehr ist seine Arbeit den Herrschenden in Ägypten ein Dorn im Auge. Als Chef einer der letzten im Land verbliebenen Menschenrechtsorganisationen kannte Gasser Abdel Razek das Risiko. Er wusste: Berichte über willkürliche Verhaftungen, Folter, unfaire Gerichtsprozesse, Todesstrafen, der Beschneidung von Versammlungsrecht und Pressefreiheit zu veröffentlichen, barg immer die Gefahr, eines Tages als Verteidiger der Menschenrechte selbst an der Reihe zu sein.

Dann kam diese Möglichkeit immer näher, als Muhammad Bascheer und Karim Ennarah, zwei Mitarbeiter der von Gasser geleiteten Egyptian Initiative for Personal Rights (EIPR), verhaftet wurden. Die Festnahmen folgten auf ein Treffen im Büro der Organisation mit 13 Botschaftern und Botschaftsvertretern, die meisten aus der EU, darunter der deutsche Botschafter in Kairo. Die Diplomaten waren über die Menschenrechtslage im Land gebrieft worden.

"Er war mein Trauzeuge."
Das – davon war Gasser überzeugt – war der Auslöser der Festnahmen seiner Kollegen. Er ahnte, was als Nächstes passieren würde. Er schickte deshalb seine Frau und seine beiden Söhne in die Oase Fayoum, eineinhalb Stunden von Kairo entfernt, packte seine Tasche und wartete zu Hause darauf, selbst abgeholt zu werden. Am 19. November war es soweit. In der Nacht seiner Verhaftung wurde er von der Staatsanwaltschaft verhört und schon am nächsten Morgen angeklagt. Er soll Mitglied einer terroristischen Vereinigung sein. Außerdem wird ihm vorgeworfen, mit Falschmeldungen die Sicherheit des Staates gefährdet zu haben.

Ausführliche Gespräche bei langen Fahrten durch die Wüste

Seitdem starre ich stundenlang auf meinen Computerbildschirm. Wie berichtet man objektiv und mit der gebotenen journalistischer Distanz darüber und aus einem Land, in dem Kollegen der Journalismus schon zum Verhängnis wurde? Vor allem aber zählt Gasser zu meinen besten Freunden in Ägypten. Er war mein Trauzeuge.

Als ich 2004 wochenlang im Irak über den dortigen Krieg berichtete, half er bei mir zu Hause in Kairo aus, wo ich kleine Kinder hatte; inzwischen sind sie erwachsen, aber er ist für sie der "Onkel" geblieben. Ich erinnere mich an viele Fahrten mit ihm durch die Wüste, wenn wir tagelang die Autos über die Dünen gleiten ließen, sie aus dem Sand buddelten, wenn sie steckenblieben, und nachts am Lagerfeuer saßen. Oft sprachen wir dort auch ausführlich über die Menschenrechtslage, während Gasser mitten in der Wüste am Spirituskocher eine seiner unter seinen Freunden berühmten Gourmet-Mahlzeiten zubereitete.

Isolationszelle mit einem Metallbett ohne Matratze

So passioniert wie beim Kochen ist er auch bei seiner Arbeit. Er macht keinen Unterschied, wessen Menschenrechte es zu verteidigen gilt. Egal, ob unter dem 2011 gestürzten Hosni Mubarak, dem Muslimbruder-Präsidenten Muhammad Mursi oder dem ehemaligen Militär- und heutigen Staatschef Abdel Fatah El-Sisi, Gasser verteidigte 25 Jahre lang alle, deren Menschenrechte in Ägypten verletzt wurden. Er macht nie einen Unterschied, ob diese Menschen säkular, islamistisch, kommunistisch, liberal, verschleiert, mit Salafisten- oder Che-Bart, diskriminierte Christen oder Homosexuelle sind. Für Gasser haben sie alle die gleichen Rechte. Ich kenne kaum jemanden, der so klare Prinzipien hat.

Vor Kurzem wurde Gasser erneut der Staatsanwaltschaft vorgeführt. Seinen Kopf hatte man kahlgeschoren. Seinen anwesenden Anwälten erzählte er, dass er im Tora-Gefängnis in Kairo in einer Isolationszelle sitze, mit einem Metallbett ohne Matratze und Bettzeug. Er habe nur die dünnen Klamotten, die er anhabe. Die wärmeren Sachen habe man ihm wie alle persönlichen Gegenstände abgenommen. Ihm sei kalt, sagte er seinen Anwälten.

EU verurteilt Festnahme

Nachts lag ich wach in meinem warmen Bett in Kairo und dachte an meinen Freund in der kalten Zelle. Man könnte über die weltweiten Reaktionen auf Gassers Verhaftungen schreiben. Das Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte hat Gassers sofortige Freilassung gefordert, unterstützt von UN-Generalsekretär Antonio Guterres. Die EU und Mitglieder des EU-Parlaments haben seine Festnahme verurteilt.

Zahlreiche Regierungen von Ländern, deren Botschafter bei dem Treffen mit Gasser in Kairo zugegen waren, legten Protest ein, auch die deutsche Menschenrechtsbeauftragte Bärbel Kolfer. Internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty und Human Rights Watch stellen sich in Erklärungen hinter Gasser, dessen Organisation sie all die Jahre immer mit Informationen versorgt hat. Vielleicht für das Regime in Kairo besonders gravierend: Auch der von Joe Biden als US-Außenminister nominierte Anthony Blinken hat die Verhaftung in einem Tweet verurteilt. "Sich mit ausländischen Diplomaten zu treffen ist genauso kein Verbrechen, wie friedlich für Menschenrechte einzustehen", schrieb er.

Was sind die Protestnoten wert?

Man könnte aber auch die Frage stellen, was all diese internationalen Proteste wert sind, wenn sie nicht einmal dazu führen, dass Gasser eine Matratze auf sein Zellenbett bekommt. Zumindest nach außen hin gibt sich das Regime in Kairo trotzig. Das ägyptische Außenministerium verwehrt sich gegen Einmischungen in innere Angelegenheiten und wirft EIPR vor, gegen Gesetze verstoßen zu haben.

Wie ernst sind diese vielen Protestnoten tatsächlich gemeint? Schließlich werden in vielen westlichen Hauptstädten arabische Autokraten wie El-Sisi als Garanten der Stabilität in der Region gehandelt, als Bollwerk im Antiterrorkampf und als Partner, Flüchtlinge davon abzuhalten, über das Mittelmeer zu kommen.

Und schließlich will man weiter Geld mit Waffenverkäufen nach Ägypten verdienen. Das Land am Nil ist inzwischen der drittgrößte Waffenimporteur der Welt. Die USA und Frankreich gehören zu den wichtigsten Lieferländern. Ägypten hält dieses Jahr auch den ersten Rang der deutschen Waffenexporte mit einem Volumen von 585,9 Millionen Euro im laufenden Jahr. Im Gespräch sind weitere Waffenverkäufe aus Italien im Wert von 9,8 Milliarden Dollar.

Weniger hundert Meter vom Gefängnis entfernt

Dagegen wirkt mein Freund in seiner Zelle sehr klein, obwohl er eigentlich viel größer ist. Als er von der Staatsanwaltschaft zurück ins Gefängnis gebracht wurde, konnte seine Frau Mariam einen kurzen Blick auf ihn durch das kleine vergitterte Fenster des Gefangenentransporters erhaschen. Das Einzige, das er nach draußen rufen konnte, war: "Mariam, grüße unser Kinder von mir, ich liebe dich!" Das erste Mal wird sie ihn nach 30 Tagen besuchen dürfen.

Ich habe immer argumentiert, dass guter Journalismus für mich bedeutet, nah dran zu sein, die Objekte der Berichterstattung zu Subjekten zu machen, die ihre Geschichten erzählen, über die sich die Leserinnen und Leser dann eine Meinung bilden können. Ich werde Mariam und die beiden Söhne, den zehnjährigen Khalil und den siebenjährigen Murad, besuchen. Ich werde an dem Küchentisch sitzen, an dem ich oft mit ihnen gelacht, gespielt und debattiert habe. Wir werden über Gasser reden, der nur wenige hundert Meter entfernt als "angeklagter Terrorist" im Gefängnis sitzt. Es wird zu nah sein, um darüber zu berichten.
Karim El-Gawhary (57) ist ein deutsch-ägyptischer Journalist. Er schreibt für die BZ und andere deutschsprachige Zeitungen und leitet in Kairo das Nahostbüro des Österreichischen Rundfunks.
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