Geschichte

Seit 50 Jahren duzen sich die Menschen in Schweden

Es war eine echte Umwälzung: Vor einem halben Jahrhundert hielt in Schweden mit der Idee des Volksheims, in dem alle Menschen gleich sind, das allgemeine Duzen seinen Einzug. Doch seit kurzem erlebt auch das "Sie" wieder eine Renaissance.  

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In Schweden wird man  immer gleich persönlich.  | Foto: Strezhnev Pavel
In Schweden wird man immer gleich persönlich. Foto: Strezhnev Pavel 
"Welche Unterstützung bekommst du von deiner Frau Ulla, wenn es hart wird im Job?", so sprechen schwedische Journalisten ihren Ministerpräsidenten Stefan Löfven beim Interview an. Auch der Arzt wird von seinen Patienten und der Arzthelferin geduzt, der Richter vom Angeklagten und den Anwälten, der Konzernchef von seinen Arbeitern.

So war es nicht immer. Früher waren die Schweden viel förmlicher als etwa die Deutschen. Das "Sie" wurde nur in herablassender Form von Chefs gegenüber ihren Untergebenen benutzt, um den gesellschaftlichen Unterschied deutlich zu markieren. Die gängige Höflichkeitsanrede in Schweden bestand noch bis in die sechziger Jahre hinein aus einem komplizierten Dreiteiler unter Anwendung der dritten Person Singular: "Möchte der Herr Apotheker Lindvall zu Mittag essen?", hieß das dann. Sogar in Familien wurde lange so gesprochen. Auf der Straße grüßte man mit: "Hatte Herr Gerichtsvollzieher Ericsson einen angenehmen Tag?"

Gerade für Sekretärinnen war es überlebenswichtig, die Titel aller Geschäftspartner parat zu haben. Selbst kleinste Abweichungen wurden übelgenommen. Wer sich unsicher über den Titel einer Person war, versuchte die Anrede durch passive Formulierungen zu umschiffen, etwa mit: "Wird noch eine Abschrift gewünscht?" Arbeiter wurden von Vorgesetzten nur beim Nachnamen angesprochen.

In die sozialdemokratische Idee des schwedischen "Volksheims", des Wohlfahrtsstaates, der soziale Unterschiede abbaut, und in den progressiven Zeitgeist am Ende der sechziger Jahre passten die umständlichen Anredeformen nicht mehr hinein.

Im Juli 1967 sagte Bror Rexed, Generaldirektor des staatlichen Medizinalwerkes auf einer Versammlung zu seinen Angestellten: "Es wird mich freuen zu hören, dass ihr mich mit Bror ansprecht." Die Angestellten trauten ihren Ohren nicht. Schließlich durften sie sich bis dahin während der Arbeit nicht einmal untereinander duzen. Es folgte Stille im Saal – und dann Applaus. Dieser Moment gilt als Schlüsselereignis. Die Zeitung Dagens Nyheter titelte "Nun wird der Titelwall gesprengt". Ministerpräsident Tage Erlander fand Rexeds Vorstoß richtig: "In der sozialdemokratischen Partei sind wir schon seit den dreißiger Jahren auf der gesamten Linie beim Du", sagte er.

Andere Unternehmenschefs, meist im staatlichen Sektor zogen mit und boten ihren Untergebenen das Du an. Es verbreitete sich in Krankenhäusern und Schulen. Zwei Jahre später bot Ministerpräsident Olof Palme auf einer Pressekonferenz den Journalisten das Du an. Davon inspiriert begannen die Presseleute, alle gesellschaftlichen Größen in Interviews zu duzen. Innerhalb weniger Jahre war die Du-Reform vollzogen. Sie ging Hand in Hand mit dem später gesetzlich festgeschriebenen Bestreben, dass Behörden eine einfache, für alle verständliche Sprache benutzen sollten.

Die Du-Reform wurde von den Sozialdemokraten als Befreiungsschlag für mehr Gleichheit und Demokratie gefeiert. Der gefühlte Abstand zwischen den Menschen nahm ab, der Führungsstil in den Unternehmen wurde weicher. Nur die Mitglieder der Königsfamilie werden auch heute noch mit Titel und indirekt angesprochen: "Was denkt die Kronprinzessin über die Zukunft der Monarchie?", heißt es zum Beispiel.

Allerdings ist das Du im Arbeitsleben nicht immer von Vorteil. Gerade Deutsche, die in Schweden arbeiten, klagen darüber, dass es durch den freundschaftlichen Umgangston schwer sei, Privat- und Berufsleben zu unterscheiden. Bitten wie "Du, sei doch so lieb und bleib noch ein bisschen, ich muss meine Kleine abholen", könne man kaum noch mit Tarifregeln kontern. Auch professionelle Kritik an Arbeitskräften ist schwieriger, weil im Du stets etwas Persönliches mitschwingt. "Ich weiß nie, ob mein schwedischer Chef meine Arbeit gut findet oder schlecht, man bekommt nie direkte Kritik, wird nie ausgeschimpft, weil alles gleich so persönlich wird", klagt ein deutscher Volkswirt.

Doch auch eine gegenläufige Bewegung gibt es im heutigen Schweden, das von der Rückbesinnung auf konservative Werte geprägt ist und in dem die Königsfamilie und alles Adlige angehimmelt wird. Junge Leute, die in Geschäften oder Restaurants arbeiten, sagen immer häufiger "Sie" zu ihren Kunden. Auch das "von" in Nachnamen wird wieder gern zur Schau gestellt, selbst in kreativen oder journalistischen Berufen. Wer nicht adlig ist, ändert seinen Nachnamen in etwas, das adelig klingt. Anscheinend ist die Gleichmacherei im Du-Sager-Land ein wenig aus der Mode gekommen.

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